Schuldenkrise schlägt auf den Arbeitsmarkt durch

Von Bernhard Müller, Aus: Sozialismus, Heft Nr. 5/2012

04.05.2012

Die Zahl der Arbeitslosen ist in der Berliner Republik im April unter die Marke von drei Millionen gesunken. Das entspricht einer Quote von 7%. Ganz im Gegensatz zu der positiven Monatsbilanz steht die düstere Lage fast im gesamten restlichen Europa. Die Eurozone ist nach zwei Quartalen mit rückläufiger Wirtschaftsleistung in einer Rezession.

Im Euroraum wurde deshalb im März ein neuer Höchststand von fast 17,4 Mio. Arbeitslosen gemeldet. Die Quote stieg auf fast 11%. So hoch war die durchschnittliche Arbeitslosigkeit zuletzt Mitte der 1990er Jahre.

In den finanziell angeschlagenen Peripherieländern wie Griechenland, Portugal, Spanien und Italien, denen harte Konsolidierungs- und Reformprogramme auferlegt worden sind, schrumpft die Wirtschaft deutlich stärker als im Durchschnitt. Am dramatischsten ist die Lage in Spanien. Dort sind nun offiziell 5,6 Mio. oder 24,1% Prozent erwerbslos gemeldet. Die Quote der Jugendarbeitslosigkeit ist mehr als doppelt so hoch. In Deutschland dagegen liegt sie mit 7,9% weit unter dem EU-Durchschnitt von 22,6%, in Frankreich bei 21,8%. Die Arbeitslosigkeit wächst entsprechend dramatisch. In der gesamten Europäischen Union sind inzwischen fast 25 Millionen Menschen arbeitslos.

Deutschland gehört nach Österreich und den Niederlanden zu den Ländern mit der geringsten Arbeitslosigkeit. Vom März auf April sank die Zahl der offiziell Erwerbslosen vom März um 65 000 auf 2,96 Millionen. »Auf dem Arbeitsmarkt hält die positive Grundtendenz an, obwohl die Konjunktur zuletzt an Schwung verloren hat«, sagt Frank-Jürgen Weise, der Chef der Arbeitsagentur, in Nürnberg. Im Vergleich zum Vorjahr sind nun 115.000 Arbeitslose weniger gemeldet.

Gleichwohl zeigen sich auch am deutschen Arbeitsmarkt erste konjunkturelle Eintrübungen. Denn saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland um 19.000 gestiegen. Dies führte die Bundesagentur zum einen auf einem geringeren Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zurück, zum anderen lag der Zähltag innerhalb der Osterferien, so dass Einstellungen nach den Ferien nicht mehr berücksichtigt wurden. »Die konjunkturellen Kräfte haben diese beiden Einflüsse auf die Arbeitslosigkeit nicht kompensieren können«, erklärt die Behörde.

Insbesondere entfaltet der arbeitsmarktpolitische Kahlschlag der schwarz-gelben Bundesregierung seine negativen Wirkungen. So befanden sich im April 2012 insgesamt nur mehr 997.000 Personen in einer von Bund oder Bundesagentur für Arbeit geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Das waren 23% (absolut: 226.000) weniger als im gleichen Monat des Vorjahrs. So gab es Abnahmen bei Beschäftigung schaffenden Maßnahmen (einschließlich Beschäftigungszuschuss; -54.000), bei Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (einschließlich der Förderung Behinderter; -48.000), bei der Förderung der Selbständigkeit (-39.000), bei der beruflichen Weiterbildung (einschließlich der Förderung Behinderter; -45.000) sowie bei Maßnahmen mit vorruhestandsähnlichen Wirkungen (Saldo von -40.000).

Der politische Skandal liegt in den Kürzungen der Finanzressourcen für die Förderung der Beschäftigungslosen: Die schwarz-gelbe Koalition hat die Mittel zurückgefahren und hält an diesen Kürzungen fest, obgleich die Absenkung der Arbeitslosen auf den Jahresdurchschnitt von 2, 6 Millionen mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlt werden wird. »Die Bundesausgaben für den Bereich Arbeitsmarkt (Beteiligung des Bundes an den Kosten der Arbeitsförderung, Grundsicherung für Arbeitsuchende) werden im Jahr 2012 mit insgesamt rd. 40,3 Mrd. ¤ veranschlagt. Der starke Rückgang von rd. 7,3 Mrd. ¤ gegenüber dem Soll für 2011 ist insbesondere auf die günstige Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung zurückzuführen.« Diese günstige Entwicklung verflüchtigt sich, gleichwohl wird an den Kürzungen festgehalten.

Vom politisch gewollten Rückgang der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen waren insbesondere die Langzeitarbeitslosen betroffen. So wurden Im April 432.000 Personen mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten in Kostenträgerschaft des SGB II gefördert. Das war knapp ein Viertel (-24%) weniger als vor einem Jahr. Der Rückgang war damit erheblich stärker als bei den Arbeitslosen im Rechtskreis des SGB II (-5%). Im SGB II kamen nach vorläufigen Werten auf eine geförderte Person 4,8 Arbeitslose – nach 3,8 Arbeitslosen vor einem Jahr. Die Förderung durch Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik fiel damit im SGB II erheblich geringer aus als im Vorjahr. Besonders drastisch waren die Einschnitte bei den Ein-Euro-Jobs. Im April befanden sich 122.000 Personen in Ein-Euro-Jobs, mit -64.000 Geförderten war das gut ein Drittel weniger als noch vor einem Jahr.

In der Konsequenz des drastischen Abbaus bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ist auch die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), die sehr viel besser als die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit erfasst, zurückgegangen. Sie belief sich im April auf 3.954.000. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) um 347.000 oder 8% verringert. Etwa Zweidrittel dieses Rückgangs entfiel auf die Einschnitte bei der entlastenden Arbeitsmarktpolitik.

Die Kehrseite der noch relativ guten Situation am deutschen Arbeitsmarkt ist der dramatische Anstieg prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Dazu gehört der rasante Anstieg der Leiharbeit. Eine Studie der Bertelsmannstiftung belegt erneut, dass Leiharbeiter auch bei gleicher Qualifikation deutlich weniger verdienen. Demnach verdient eine Leihkraft mit Berufsausbildung in Westdeutschland 47% Prozent und im Osten 36% weniger als ein Stammarbeiter mit gleichem Bildungsniveau. Als Grund für diese hohen Unterschiede nennen die Autoren neben den generell niedrigeren Zeitarbeitslöhnen vor allem individuelle Merkmale wie längere Phasen der Arbeitslosigkeit. Die Zeitarbeit rekrutiert einen großen Teil ihrer Mitarbeiter aus der Arbeitslosigkeit. Auch wechselhafte Erwerbsbiographien seien ein wichtiger Grund.

Zugenommen hat auch die Zahl der Lohnabhängigen, die einen Zweitjob annehmen müssen, um über die Runden zu kommen. So üben aktuell 2,49 Millionen Menschen oder 8,7% Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusätzlich einen geringfügig entlohnten Nebenjob aus, gegenüber dem Vorjahr 75.000 oder 3,1% mehr.

Die Alarmsignale am deutschen Arbeitsmarkt sind unübersehbar. Und die aktuelle wirtschaftliche Stagnation kann sehr schnell in eine rezessive Tendenz umschlagen – mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. So ist die Euro-Zonen-Industrie nach einer aktuellen Umfrage des Markit-Instituts im April noch tiefer in die Rezession gerutscht. Und, so die Ergebnisse der Umfrage, die Schwäche der Euro-Zone sei inzwischen nicht mehr nur auf Krisenstaaten wie Spanien, Griechenland und Italien begrenzt. »Da sich ein Großteil des Warenverkehrs mit Industrieerzeugnissen zwischen den Euro-Ländern abspielt, haben die Nachfrageausfälle aus den mit harten Sparprogrammen kämpfenden Schuldenländern Südeuropas zunehmend negative Auswirkungen auf die gesamte Euro-Zone« … Offensichtlich auch auf Deutschland, was die neuerlichen Produktionskürzungen dort zeigen.« Die Geschäfte der deutschen Industrie liefen im April so schlecht wie seit fast drei Jahren nicht mehr. Der Einkaufsmanagerindex für den Sektor fiel um 2,2 auf 46,2 Punkte. Das ist der schlechteste Wert seit Juli 2009.

Auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) erwartet für Deutschland einen Wachstumsrückgang. Ursache dafür seien die Schuldenkrise und das geringe Wachstum in Ländern außerhalb der Euro-Zone. Die unsicheren Aussichten könnten Investitionen verzögern, die – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – ohnehin noch unter ihrem Vor-Krisen-Niveau lägen.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung sieht gleichwohl keinen Handlungsbedarf und hält an ihrem restriktiven arbeitsmarktpolitischen Kurs fest. Sie preist die Bedeutung flexibler Beschäftigungsform wie befristeter Stellen oder Leiharbeit für den Beschäftigungsaufschwung. Die Scharmützel um das Mindestlohn-Modell der CDU ändern nichts an der Grundüberzeugung des bürgerlichen Lagers, dass prekäre Beschäftigung ein unverzichtbarer Segen für die »soziale Marktwirtschaft« ist. Gleichzeitig wird gegenüber den europäischen Krisenländern an einer rigiden Sanierung der Staatsfinanzen festgehalten – selbst wenn das den deutschen Exporten das Wasser abgräbt.

Vor den verheerenden Folgen dieser Sparprogramme für den Arbeitsmarkt warnt die ILO. Sparmaßnahmen und Arbeitsmarktreformen hätten »zerstörerische Auswirkungen« auf die Beschäftigung gehabt, heißt es im Arbeitsmarktbericht 2012. Dabei seien trotz aller Kürzungen die Sparziele verfehlt worden. »Die Strategie des Sparens und Regulierens sollte zu mehr Wachstum führen, was jedoch nicht geschieht«, sagte der ILO-Direktor für internationale Arbeitsmarktstudien, Raymond Torres, in Genf. Die Spar-Strategie sei damit »kontraproduktiv« gewesen. Torres bescheinigte den EU-Staaten, »wenig durchdachte« Sparprogramme aufgelegt zu haben. Als Beispiel nannte er Spanien, wo das Haushaltsdefizit trotz drastischer Einsparungen nur von gut 9% im Jahr 2010 auf 8,5% 2011 gesunken sei.

Die weitere Eintrübung der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland wie auch die Veränderung in der europäischen politischen Großwetterlage mit den Wahlen in Frankreich und den Niederlande sowie der wachsende Widerstand in vielen europäischen Ländern gegen den volkswirtschaftlich kontraproduktiven rigiden Sparkurs lassen allerdings auf eine veränderte politische Agenda in Europa hoffen, bei der nicht mehr das Sparen, sondern eine zukunftsorientierte Struktur- und Arbeitsmarktpolitik im Vordergrund steht. Diese könnte rückwirkend dann auch in Deutschland zu mehr wirtschafts- und sozialpolitischer Vernunft führen.