Politische Ökonomie des Gemeinwesens - Überlegungen zur fds-Strategie der Re-Kommunalisierung

Joachim Bischoff und Björn Radke

01.04.2012

Mit Thesen zum Programmentwurf der LINKEN hat das Forum demokratischer Sozialismus (FDS) innerhalb der Partei DIE LINKE in die programmatische Debatte eingegriffen und zugleich den Anspruch formuliert, an der politischen Bildungsarbeit innerhalb der Partei und ihres Umfelds teilzunehmen. Nach der Verabschiedung des Grundsatzprogramms hat diese Strömung jetzt eine Publikation zur Strategieentwicklung vorgelegt: »Re-Kommunalisierung und Ökonomie des Gemeinwesens. Dokumentation von Texten zur Rückgewinnung des Öffentlichen und Strategie der LINKEN« (Heft 4 der fds-Schriftenreihe)

Besonders aktuell wird die Fortführung des Strategiedebatte für das FDS, weil sich seit längerem abzeichnet,»dass viele unserer Forderungen, wie Mindestlohn, Finanztransaktionssteuer u.a. mittlerweile zum Gegenstand auch herrschender Politik werden, was uns vor die Aufgabe stellt, neue Strategien der LINKEN zu identifizieren sind, mit denen wir den gesellschaftlichen Diskurs nach links verschieben.«

Wir sehen zwar weder die auf die gesellschaftliche Kontrolle der Finanzmärkte angelegten Strategiebausteine noch die Überlegungen zum Aus- und Umbau der sozialen Sicherheit als angestaubt an. Zustimmen möchten wir gleichwohl ausdrücklich der weitergehenden Überlegung des FDS: »Die Demokratisierung der Wirtschaft und die Rückgewinnung öffentlicher Güter wäre ein Reformprojekt, das hier und heute beginnt und gleichwohl transformatorischen Charakter entfalten kann.«

Bei diesem Reformprojekt geht es den Autoren um »Kooperation statt Konkurrenz. Um eine Gesellschaft, in der jede und jeder in sozial gleicher Weise an den Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens in sozialer Sicherheit und Solidarität teilhaben kann. Angestrebt wird die Verknüpfung von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Demokratisierung, die Überwindung nationalstaatlicher Orientierung zugunsten mindestens europaweiter Perspektiven.«

Wichtiger Bezugspunkt der folgenden Überlegungen ist der von den Autoren konstatierte »Legitimationsverlust« öffentlicher und kommunaler Unternehmen in der neoliberalen Entwicklungsphase des Kapitalismus. »Lange Zeit war, zumindest in Deutschland, unbestritten, dass die Kommunen und der Staat befugt sind, diese Leistungen zu erstellen und dabei auch die Modalitäten festzulegen, unter denen das geschieht. Und während der fordistischen Phase funktionierte das auch. Erst im Durchbruch der neoliberalen Hegemonie verband sich die Liberalisierung vieler Daseinsvorsorgesektoren mit der weitgehenden Delegitimierung jeglichen staatlichen Wirtschaftens.« Zeitweilig überzeugte die Argumentation weithin, dass öffentlichen Leistungen in privater Regie und auf offenen Märkten besser, billiger und kundenfreundlicher zu erbringen seien.

Nach mehreren Jahrzehnten der Privatisierung kommunaler Unternehmen und Dienstleistungen, ist in den letzten Jahren eine Wiederentdeckung öffentlicher und genossenschaftlicher Unternehmen festzustellen. Privatisierungen gelten nicht mehr per se als beste Lösung für die Kommunalwirtschaft. Entscheidungen über Privatisierungen werden zurückgenommen oder es kommt zur Neugründung kommunaler Unternehmen.

Die Schlussfolgerung aus den letzten Jahre ist daher: »Die Illusion, Profitmaximierung und bedürfnisorientierte, soziale und ökologische Leistungserstellung wären ohne Weiteres konfliktfrei mit einander zu vereinbaren, löst sich erst seit wenigen Jahren auf. Hier verändern sich Kräfteverhältnisse, hier muss eine sozialistische Linke genau hinschauen.«

Re-Kommunalisierungen sind nicht nur eine Reaktion auf die enttäuschten Erwartungen bezüglich der Wirkungen von Privatisierungen auf Preise und Leistungsqualität. Sie sind nicht allein eine Parteinahme für eine Seite im vermeintlichen Gegensatzpaar »Staat versus Privatwirtschaft«. Re-Kommunalisierungen stehen vielmehr auch für ein neues Bewusstsein über den Wert des Öffentlichen sowie für eine Suche nach »sachlich begründeten besten Lösungen« für die Erbringung grundlegender Leistungen der Daseinsvorsorge. (Lederer ebd.: 26)

Jahrzehntelang haben neoliberale Ideologen und Propagandisten die öffentliche Meinung darin bestärkt, dass im entwickelten Kapitalismus Geld- und Vermögensansprüche eine neue Qualität ökonomischer Rationalität hervorgebracht hätten. Nach mehreren Krisenjahren kann nun allerdings nicht mehr in Abrede gestellt werden, dass der entfesselte oder finanzgetriebene Kapitalismus sich durch die eigene Logik diskreditiert hat.

Noch ist das offenkundige Scheitern des säkularen Projekts der Entfesselung des Kapitalismus nicht verarbeitet. Allerdings: Ein Teil der Fans der Marktsteuerung ist zu Regulierungsanhängern mutiert. Es geht aber um weit mehr als Bankenaufsicht und ein paar Schranken für Kreditgeschäfte. Die Dominanz der Finanzmärkte über die Realökonomie muss aufgehoben werden. Wir brauchen eine progressive Besteuerung aller Kapital- und Vermögenseinkommen und wir müssen neben der Kontrolle von Finanztransaktionen auch eine entsprechende Besteuerung durchsetzen.

Wir brauchen einen neuen Modus der Investitionen und der gesellschaftlichen Steuerung der Ökonomie. Und: Die Privatisierung der sozialen Sicherheit muss rückgängig gemacht und alle Einkommensarten zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden. Dabei werden wir auch hier nicht um die Überprüfung der Frage herumkommen, warum die Delegitimierung der Elemente sozialer Sicherheit (Rente, Krankenversicherung) so stark werden konnte. Ein einfaches Zurück wird es auch hier nicht geben können. Durch die Krise rückt eine Konzeption erneut in das Zentrum: Wirtschaftsdemokratie als Alternative.

Öffentliche Unternehmen und Genossenschaften als neue Chancen der Re-Kommunalisierung?

Öffentliche Unternehmen sind ein Instrument des Gemeinwesens, um den politisch formulierten Gemeinwohlauftrag zu erfüllen, also spezifische »Gemeinwohlinteressen« zu konkretisieren und zu operationalisieren. Als Unternehmen befinden sie sich jedoch in einem zunehmenden Spannungsfeld zwischen den politisch gesetzten Anforderungen des Gemeinwohls auf der einen Seite und denen ihrer »ökonomischen Umwelt« auf der anderen Seite (Plehwe 2002), durch das die Auseinandersetzungen um ihre Funktionen bereits vorstrukturiert werden.

Auch das Genossenschaftsmodell gewinnt neue Bedeutung. So ist die deutsche Bevölkerung über Genossenschaften überraschend gut informiert. 83% der Bevölkerung kennen nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Genossenschaftswesen (IfG) der Universität Münster mit der GfK Nürnberg den Begriff »Genossenschaft«. Viele Menschen können wichtige Merkmale genossenschaftlicher Kooperationen nennen. Besonders bekannt ist, so die Studie, dass Genossenschaften dem Wohle ihrer Mitglieder dienen müssen, also am »Member Value« orientiert sind. Ebenso schätzen die Menschen Genossenschaften grundsätzlich als positiv ein – mehr als die Hälfte der Befragten bewerten die genossenschaftliche Organisationsform als gut oder sehr gut. Das positive Urteil gilt auch für viele genossenschaftliche Merkmale. Vier von fünf Befragten halten die Orientierung am »Member Value« für wichtig.

Die Mehrheit der Deutschen heben vor allem die eher langfristige und nachhaltige Ausrichtung der Genossenschaften, eine gewisse Bodenständigkeit sowie Zuverlässigkeit hervor. Im Vordergrund aber steht, dass Genossenschaften zum Wohl ihrer Mitglieder handeln müssen. In Deutschland werden wieder mehr Genossenschaften gegründet, vor allem in zukunftsorientierten und wachsenden Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft. So etwa in der Energiebranche, dem Gesundheitswesen und der Infrastruktur oder vielen Dienstleistungssparten und dem Handwerk.

Im Zuge der globalen Finanzmarktkrise sind die Besonderheiten von genossenschaftlichen Unternehmen wieder stärker bekannt geworden. Auch Genossenschaften müssen Gewinne erwirtschaften. Doch wie sie entstehen, verwendet werden und an wen sie fließen – dies unterscheidet Genossenschaften von vielen anderen Unternehmen. Was die Genossenschaften erwirtschaften, fließt den Mitgliedern auf drei Wegen zu: erstens über die Konditionen und Qualitätsstandards der Leistungen, zweitens über die Verzinsung der Geschäftsanteile und drittens über die Investitionen in die Genossenschaft. So werden Werte für die Mitglieder geschaffen, die sonst nicht entstehen oder anderen Personenkreisen zugute kommen würden. Ein langfristiger »Member Value« ersetzt einen Shareholder Value, der isoliert auf die kurzfristige Verzinsung von Investments abstellt.

Das FDS betont zurecht, dass die gesellschaftliche Akzeptanz einer alternativen, nichtkapitalistischen Wirtschafts- und Lebensweise nicht am Reißbrett entwickelt werden kann. Eine politische Alternative muss aus den existierenden Widersprüchen heraus erkämpft und durchgesetzt werden und in der Auseinandersetzung mit dem Bestehenden unter jeweils ganz konkreten Bedingungen erfolgreich sein. »Es geht um praktisches Lernen der handelnden Akteure, um Eingreifen in konkrete Kräfteverhältnisse mit offenem Ausgang.«(10)

Es eröffnet sich die Chance, einen öffentlichen und genossenschaftlichen Sektor zu schaffen oder auszuweiten, der demokratisch kontrolliert, transparent und effizient arbeitet. »Der öffentliche Sektor der Daseinsvorsorge ist ein Experimentierfeld, in dem neue Möglichkeiten entstehen könnten, effektives Wirtschaften jenseits der Renditemaximierung, demokratisiert und deshalb an einen so definierten öffentlichen Nutzen orientiert, auszuprobieren und zu praktizieren. Das ist mit vielen Problemen verbunden, sollte aber nichtsdestotrotz immer wieder versucht werden. Möglicherweise liegt hier ein Keim dessen, was über die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise hinausweist.«

Dieser Ansatz im kommunalen Bereich für eine Re-Kommunalisierung von öffentlichen Unternehmen einzutreten, stellt auch aus unserer Sicht eine tragfähige Strategie der Popularisierung von alternativen, nichtkapitalistischen Eigentumsformen dar. Dies gilt besonders für die Wirtschafts- und Leistungssegmente, die wir konzeptionell und teilweise noch praktisch mit den kommunalen Stadtwerken in Verbindung bringen: Wohnen, Energie, Wasser, Abwasser, überhaupt Ver- und Entsorgung, aber auch öffentlicher Personennahverkehr und die Erzeugung, Erhaltung und Ausbau öffentlicher Infrastruktur.[1]

Wir treten allerdings dafür ein, noch einen weiteren Zugang aufzugreifen – den der »neuen Wirtschaftsdemokratie«.

Neue Wirtschaftsdemokratie

Ein neues Projekt der Demokratisierung der Wirtschaft hat – um die arbeitspolitischen Dimensionen der Großen Krise zu bearbeiten – an den weitreichenden Veränderungen in den Unternehmen und der Organisation der Arbeit anzusetzen. Stichworte dafür sind: Shareholder Value-Steuerung, Outsourcing und Konzentration auf das profitabelste Kerngeschäft, Marktsteuerung im Unternehmen, De-Hierarchisierung, Subjektivierung der Arbeit. Das bedeutet: »Es kann nicht länger um eine Aufteilung der Verantwortlichkeiten nach dem fordistischen Muster gehen, wonach die Unternehmensführung die alleinige Kontrolle über die Produktionsprozesse hat, und sich die Wirtschaftsdemokratie über den Ausbau der sozialen Rechte entwickelt. Die Demokratie muss das ganze Unternehmen umfassen. Es muss sich ein kollektives Interesse herausbilden, das die Wirtschaftstätigkeiten der Unternehmen legitimiert.« (Aglietta/Rebérioux 2005: 23)

»Neue Wirtschaftsdemokratie« erweist sich damit als ein komplexes Programm: von demokratischer Partizipation im Betrieb bis zu makroökonomischer Wirtschaftssteuerung. Es geht um einen integralen Lösungsansatz. Die arbeitspolitische Dimension der Krise macht die Verschränkung deutlich: Die Einebnung der großen realökonomischen Entwicklungsunterschiede – die den Gläubiger-Schuldner-Verhältnissen zugrunde liegen – erfordert andere Produktions- und Arbeitsregime. »Und das Scheitern finanzmarktgetriebener Akkumulation in der Krise erfordert eine neue Auseinandersetzung über nachhaltige Unternehmenssteuerung. Der entscheidende Punkt dürfte dabei sein, wie weit die ambitionierten Anforderungen von Wirtschaftssteuerung mit einem Aktivierungskonzept von ›unten‹ gekoppelt werden können.« (Detje 2012)

Wollen wir an dieser Stelle weiterkommen, muss die Dialog- und Kooperationsfähigkeit zwischen außergewerkschaftlicher Linker, zivilgesellschaftlicher Gruppen und den Gewerkschaften wieder reaktiviert werden.

Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus ist nicht in der Lage, die arbeitsuchenden Menschen und die unausgelasteten Produktionskapazitäten so zu steuern, dass diese Menschen durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft eigenständig und unter Achtung ihrer Würde ihre Existenz gestalten können. Seit Ende der 1970err Jahre erleben vor allem die europäischen Hauptländer des Kapitals eine beständig radikalisierte Politik der »Zumutungen« im Kampf gegen ein unzureichendes Wirtschaftswachstum, Massenarbeitslosigkeit und eine um sich greifende Auswucherung von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen. Es ist immer noch kein Ende dieses kollektiven Marsches in die gesellschaftspolitische Sackgasse absehbar.

Der Sozial- oder Wohlfahrtstaat war kein sozialistisches Projekt. Er war der Höhepunkt eines langen Prozesses, in dessen Verlauf der Kapitalismus zivilisiert und zu einem gewissen Maß mit der Demokratie versöhnt wurde. Der institutionalisierte Klassenkompromiss stützte sich auf eine »mixed economy«, mehr oder minder bewusst praktizierte Globalsteuerung (Fiskal- und Geldpolitik) und kollektive Sicherungssysteme mit begrenzten Umverteilungseffekten. Er brachte eine asymmetrische Machtverteilung zwischen Lohnarbeit und Kapital in den Unternehmen und in gesamtgesellschaftlichen Steuerungsinstitutionen. Dieses je nach national-historischen Besonderheiten moderierte »System des regulierten Kapitalismus« schlug sich in einer Erweiterung von sozialen Rechten und der Einrichtung eines sozialen Eigentums (Sicherungssysteme mit Ansprüchen) nieder; eine Außerkraftsetzung der kapitalistischen Akkumulationsdynamik und der Verteilungsprozeduren war damit nicht verbunden. Während bis Anfang der 1970er Jahre in wechselnden gesellschaftlichen Konstellationen Versuche unternommen wurden, die bis dahin fixierte Machtverteilung zwischen Lohnarbeit und Kapital zugunsten der subalternen Schichten zu verändern, setzte sich Mitte der 1970er Jahre international wie in den Hauptländern des Kapitals ein neoliberales Rollback durch.

Der Neoliberalismus ist die herrschende Ideologie der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation. Vor und im Verlauf der großen Krise wird die Hegemonie brüchig: Faktisch verharren große Teile der Bevölkerung in Resignation bei wachsendem Vertrauensverlust in die gesellschaftlichen Institutionen und Formen demokratischer Willensbildung.

Die Formen dieser Zerstörung und des Zerfalls der Lohnarbeitsgesellschaft sind hinreichend bekannt. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich so verschoben, dass die ökonomischen und politischen Eliten alle Elemente des Statuts der Lohnarbeit (Einkommen, Arbeitszeit, tarifvertragliche Regelungen, soziale Sicherheit) zur Disposition stellen. Das Bedrohungspotenzial liegt zum einen in der Begünstigung von gewaltigen Finanzkrisen, die nationale Ökonomien in kürzester Zeit vor immense Herausforderungen stellen. Zum anderen sind über die Politik der Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung die Wachstumspotenziale in den reifen kapitalistischen Gesellschaften nicht zu aktivieren. In der Konsequenz stellen Massenarbeitslosigkeit, andere Formen der sozialen Ausgrenzung und Spaltung alle Qualitäten der entwickelten Zivilgesellschaft in Frage. Es droht die Gefahr, dass der Prozess der Entdemokratisierung erneut in eine Zerstörung der demokratischen Grundlagen der Gesellschaft.

Zurecht postuliert das FDS : Mitbestimmung und Teilhaberechte sind in unserer Konzeption von Wirtschaftsdemokratie kein Privileg von Beschäftigten in traditionellen Normalarbeitsverhältnissen, sondern sind auf prekär Beschäftigte und Arbeitslose auszudehnen. Dies verlangt, Solidarität der verschiedenen Gruppen der Lohnabhängigen und Arbeitslosen miteinander herzustellen.

Modelle der ökologischen Konversion werden Orte solcher Auseinandersetzung sein. Die Kernbelegschaften etwa der Automobilindustrie sehen sich darin bislang nicht repräsentiert. Ihre Kämpfe und ihr Interesse am Erhalt des Status quo z.B. »sind aufzunehmen und gegen die Vereinnahmung von Staat und Kapital zu verteidigen. Darüber hinaus müssen sie mit den Interessen ›der Klasse‹ insgesamt vermittelt werden und mit ökologischen Überlebensinteressen: eine Transformation der Beschäftigungs- und der Produktionsstruktur muss zusammengehen« (Kaindl 2010: 2)

Dies wird jedoch maßgeblich davon abhängen, ob die Gewerkschaften sich selbst demokratisieren. Dazu gehört mehr als die Beteiligung der Mitglieder an innergewerkschaftlichen Entscheidungsprozessen. »Sie sollten in ihrem Selbstverständnis zu einer Demokratisierungsbewegung werden, die das Bündnis sucht (…) zu allen, die sich als internationales Protest-Netzwerk um die Neugestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen kümmern.« (Dörre 2000: 56 ff.).

Das von uns angestrebte Transformationsprojekt geht also zusammengefasst davon aus, dass der Profit- und Marktmechanismus eine Einheit von Freiheit und Gleichheit nicht herzustellen vermag. Er produziert das Gegenteil von Solidarität. Die Antwort auf Marktradikalismus und soziale Desintegration liegt deshalb in der Stärkung des öffentlichen Sektors und der Demokratisierung der Wirtschaft. Dazu gehören kollektive Regeln, Mitbestimmung in Betrieb und Gesellschaft, gerechte Verteilung, öffentliches Eigentum. Angestrebt wird die Verknüpfung von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Demokratisierung, die Überwindung nationalstaatlicher Orientierung zugunsten mindestens europaweiter Perspektiven.

Wenn wir all diese Baustellen benannt haben: Wie könnte dann aus diesen Überlegungen der Start in die »Popularisierung dieses Reformprojekts« gelingen?

Re-Kommunalisierung unterstellt die finanzielle Stärkung der Kommunen

Aus unserer Sicht beinhaltet Re-Kommunalisierung die Demokratisierung in den Bereichen der öffentlichen Betriebe, der Gemeinden und Kommunen, der Lebensumgebung. Bedeutet dann Re-Kommunalisierung nicht auch finanzielle Stärkung der Kommunen, um überhaupt die Voraussetzungen für neue Formen der Demokratie zu schaffen? Dazu muss auch die Akzeptanz in der Bevölkerung für diese Fragen erhöht werden.

Wie es dem Staat finanziell geht, kann man zuerst in den Städten und Gemeinden sehen. Der Zustand von Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Spielplätzen, Parkanlagen, Straßen oder Schwimmbädern hinterlässt einen bleibenden Eindruck über die Finanzprobleme unserer Kommunen. Doch nicht nur der Zustand der Einrichtungen lässt Zweifel aufkommen, ob die kommunalen Einnahmen ausreichen, um die Vielfalt der Aufgaben zu erfüllen. Mit der Schließung von Einrichtungen, der Kürzungen der Öffnungszeiten oder der Streichung von Zuschüssen zur Vereinsarbeit versuchen kommunale Finanzpolitiker mit der katastrophalen Lage der öffentlichen Kassen umzugehen.

Die Kommunen stecken in der tiefsten Haushaltskrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Nothaushalte, Streichkonzerte und Sparkommissare dominieren die Szenerie. Bundes- und Landesregierungen schauen seit langem weg und im kommunalen Alltagsgeschäft wird zukünftig kaum mit nachhaltigen Staatshilfen zu rechnen sein.

Die Finanznotlage der Kommunen lässt sich auf lange Sicht nur durch eine grundlegende Neugestaltung der kommunalen Einnahmequellen lösen. In allen Bundesländern sollen die Kommunen vor Ort noch weiter einsparen und Leistungen zurückfahren. Die Kommunalen Landesverbände haben angesichts ihrer Situation sehr wohl berechtigte Kritik an dieser Art von »Notverordnung«, die ihresgleichen in der jüngsten Entwicklung zur Installierung eines »Sparkommissars« für Griechenland findet: die Aufhebung nationaler bzw. kommunaler Haushaltssouveränität.

Die Kommunen fordern ein kommunales Existenzminimum, das heißt eine finanzielle Mindestausstattung der Kommunen. Die »Schuldenbremse« darf keine Vollbremsung auf Kosten der Kommunen werden. Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert. Dies hat zu hohen Defiziten geführt, die nun erst einmal abgebaut werden müssen.

Eine andere Politik, die die strukturelle Schwäche der Kommunen überwindet, müsste aus verschiedenen Elementen bestehen:

· Neuausrichtung der Belastungen zwischen Land und Kommunen;

· breitere Bemessungsgrundlage für Gemeindesteuern,

· Gewerbesteuer zur Wertschöpfungsteuer weiterentwickeln;

· kommunalen Anteil an Einkommens- und Umsatzsteuer erhöhen;

· stärkere Beteiligung des Bundes an Sozialleistungen der Kommunen;

· Mitentscheidungsrechte der Kommunen in der Steuergesetzgebung;

· Bekenntnis zu höheren Steuern;

· Überprüfung von Infrastrukturprojekten: Schaffung von neuen Arbeitsplätzen;

· Überprüfung der nächsten Steuerschätzung und Aufteilung in Neuinvestition und Schuldentilgung.

Die Logik, solide öffentliche Finanzen durch Ausgabenkürzungen erreichen zu wollen, basiert vor allem auf der stillschweigenden Akzeptanz der geschwächten Einnahmebasis des Staates. Denn durch die rigorosen Steuersenkungen zugunsten der Unternehmen und Vermögensbesitzer in den letzten 20 Jahren wurde diese Einnahmebasis systematisch ausgehöhlt. Dies zeigt auch die Entwicklung der Steuerquote, d.h. des Verhältnisses von Steuereinnahmen zum nominalen Bruttoinlandsprodukt. Sie ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken und lag 2010 bei 21,2% und damit – trotz deutlicher Anhebung der Umsatzsteuer in 2007 – deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 22,8%. Ihren bisher niedrigsten Wert erreichte sie 2004, als die rot-grünen Steuersenkungsorgie ihre volle Wirkung entfaltete.

Die Krise der Staatsfinanzen ist deshalb nicht in erster Linie ein Ausgaben-, sondern ein Einnahmeproblem. Nur mit einer deutlichen Verbesserung der Einnahmen lässt sich ein qualitativ hochwertiger öffentlicher Dienst und eine den Anforderungen der Zukunft entsprechende staatliche Infrastruktur sicherstellen.

Die Auseinandersetzung um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen und die Gegenentwürfe der politischen Linken zur Austeritätspolitik der politischen Eliten sind nötiger denn je. Deshalb begrüßen wir die Initiative des FDS mit der Vorlage dieses Textes und verstehen ihn als Anstoß zu einem weiterführenden Dialog.

Literatur

Aglietta, Michel/Rebérioux, Antoine (2005): Vom Finanzkapitalismus zur Wiederbelebung der sozialen Demokratie. Supplement der Zeitschrift Sozialismus Heft 3

Detje, Richard (2012): Demokratisierung der Arbeit – neu einbringen. Für eine arbeitspolitische Fundierung von Wirtschaftsdemokratie, unveröffentlichtes Manuskript.

Dörre, Klaus (2000): Perspektiven der Demokratisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt. in: Konitzer, Ursula /Schmidt, Jutta /Stein, Marita /Werneke, Frank/ Timmermann, Rüdiger (Hrsg.): Zukunft der Mitbestimmung. Für eine gewerkschaftliche Offensive. Hamburg, 2000

Kaindl, Christina (2010): Linke Klassenpolitik? Das Ziel: Solidarität der verschiedenen Gruppen der Lohnabhängigen miteinander, in: Neues Deutschland 12.4.2010

Plehwe, Dieter (2002): Europäische Universaldienstleistungen zwischen Markt und Gemeinwohl, in: Schuppert, Gunnar Folke und Neidhardt, Friedhelm (Hg.): Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, Berlin, S. 389-420


[1]Tatsächlich gehört in das Zentrum linker Politik aber die Frage, was den unverzichtbaren Kern öffentlicher Daseinsvorsorge, kommunaler sozialer und demokratischer Verantwortung ausmacht. Gesundheit. Entsorgung von Abwasser und Müll. Versorgung mit Wasser, Energie. Kommunikation. Verkehr. Bildung. Soziale Einrichtungen. (Horst Kahrs)