Präsidentschaftswahlkampf nimmt Fahrt auf François Hollande 2012?

Von Bernhard Sander

03.02.2012 / Sozialismus Aktuell, 2. Februar 2012

Der aktuelle Amtsinhaber hält sich weitgehend in Deckung, da seine Beliebtheitskurve fast in der gesamten Amtszeit Negativrekorde brach. Sein Motto »Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen« kaschiert immer schlechter die Bereicherung der obersten 10%.

Aber Nicolas Sarkozy verfügt über die zumindest kurzfristig Einschaltquoten und Auflagen steigernde Maschinerie seiner neureichen Milliardärsfreunde (TF1, Les Echoes, Lagadère usw.), die ihn trotz der angekündigten Mehrwertsteuererhöhung und vielleicht wegen der proklamierten Finanztransaktionssteuer in den zweiten Wahlgang tragen könnten.

Der Herausforderer der Sozialisten wirkte bisher seriös bis zur Langeweile und schien außer 60.000 Stellen im Bildungswesen kein Programm zu haben. Und visionär wie etwa Mitterands 110 Maßnahmen im Jahr 1981 sind seine jetzt angekündigten 60 Überlegungen auch nicht. Kein Sozialismus in den Farben Frankreichs, keine Verstaatlichungen, keine Wirtschaftslenkung stehen auf dem Zettel von François Hollande. Ihm wird eher die Vollendung des »Bad Godesberg« der französischen PS unterstellt, gleichwohl begeisterte er 10.000 Anhänger mit einer fulminanten Rede zur Lage der Nation.

Im Zentrum steht für ihn die »Spirale des Sparens, die die Krise verschlimmert«. Einerseits gehe es zukünftig darum, dass die EZB massiv europäische Staatsanleihen aufkaufen müsse, anderseits spricht er sich für die Ausgabe von Eurobonds aus, um den bedrohten Staaten Luft zu verschaffen.

In dieses Konzept fügt sich die Verbesserung der Einnahmenseite um rd. 49 Mrd. Euro ein. Hollande will die oberen Einkommensgruppen und Vermögensbesitzer wieder stärker besteuern. Allein 29 Mrd. sollen durch Bereinigung der Steuertarife und Anhebung der Spitzensteuersätze hereinkommen und zur Senkung der Neuverschuldung dienen. Diese droht mit 5,5 % infolge der konjunkturellen Abkühlung erneut weit über dem Defizitkriterium der EU zu liegen. Hollande teilt mit Sarkozy das Ziel, die Neuverschuldung bis 2013 wieder auf das EU-Kriterium von 3% und 2016 auf Null zurückzuführen.

Zweifel an Frankreichs Solidität führten zu einer Herabstufung durch die Rating-Agenturen, nachdem die Gesamtverschuldung des Landes seit 2007 rasant von 1,2 auf nun mehr als 1,6 Billionen Euro angestiegen ist. Das BIP lag im abgelaufenen Jahr bei etwa 1,988 Billionen Euro, der Schuldenstand bei 1,689 Billionen Euro. Die Neuverschuldung erreichte 2011 gut 92 Mrd. Euro.

Wenn man die Konzepte zugrunde legt, die derzeit für den Konsolidierungsbedarf Italiens verhandelt werden, dann bedeuten »Haushaltskorrekturen« in einem Volumen von einen Zwanzigstel des Schuldenüberhangs (zur Zeit 25% über dem Defizitkriterium von 60% des BIP) für Frankreich Kürzungen in Höhe von jährlich 24,8 Mrd. Euro.

Zwar mag davon im Moment niemand sprechen. Doch Frankreich hat sich zu einer schnelleren Betankung des »dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus« verpflichtet, was angesichts der labilen Wachstumsaussichten Auswirkungen auf die weiteren Bewertungsaussichten seiner Kreditwürdigkeit nach sich ziehen könnte. Das Land könnte damit den Restriktionen zum Opfer fallen, die jetzt von seiner Regierung mit vorangetrieben werden.

Damit es nicht soweit kommt, schlägt Hollande weitere Verbesserungen der Staatseinnahmen vor: 4 Mrd. soll die Abschaffung der Zins-Abzugsfähigkeit für Eigentumsbildung erbringen, 1 Mrd. die Reform der Gewerbesteuer, weitere 3,2 Mrd. Euro könnten durch die Abschaffung der Abgabenbefreiung für Überstunden (ein Zentralprojekt der Regierungen unter Sarkozy) erreicht werden sowie weitere 2,3 Mrd. Euro Abgabenbefreiung für zweifelhafte Eingliederungshilfen am Arbeitsmarkt. Zweifellos werden diese Maßnahmen die Zornesadern der Selbständigen anschwellen lassen. Darum verspricht Hollande die Schaffung einer Mittelstandsbank durch Zusammenlegung der bisherigen Programme und 2,3 Mrd. Euro Erleichterungen durch eine Reform der Körperschaftssteuer.

Zu Hollandes Wahlprogramm gehört die Einhegung der Finanzmärkte. Sein Konzepts sieht vor, die Geschäfts- und Investitionsbanken zu trennen, um letzteren über die Eigenkapitalregelungen die Spekulation zu erschweren. Die Aufhebung dieser Trennung durch die Regierung Clinton hatte ausgehend von den USA die Spekulationswelle mit immer neuen »Finanzprodukten« angeheizt. Nach der ersten Zuspitzung der Finanzkrise 2008 war dies auf europäischer Ebene kurz im Gespräch, wurde dann aber durch die Schwerpunktsetzung auf die Hybridkonstruktionen von Rettungsschirmen wie ESM und ESFS verdrängt, mit denen die Staaten für das Bankensystem haften, ohne in deren institutionelle Verfasstheit einzugreifen. Boni und Stock-options sollen nur noch in Gründerunternehmen erlaubt sein und Bankgewinne sollen mit einer Zusatzsteuer von 15% zum Teil abgeschöpft werden.

Hollande weist damit tatsächlich eine wirkliche Alternative zur Spirale des Sparens aus, Doch bleibt die Frage, ob die Dimensionen der Tragweite der Probleme im Finanzsystem angemessen sind. Seine Vorschläge knüpfen an das EU-Programm von Jacques Delors an und bedeuten eine Konfrontation mit Angela Merkel und Co., weswegen jetzt wieder viel von Deutschlandfeindlichkeit die Rede ist. Die Bundeskanzlerin wird gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Sarkozy absolvieren, denn auch der französische Staatspräsident trägt die Monstranz der Schuldenbremse durch Europa.

Daher kündigte Hollande an, er sehe die Notwendigkeit, in Teilen die europäischen Verträge und den deutsch-französischen Grundlagenvertrag neu zu verhandeln. Die Wettbewerbsfähigkeit des »Klassenbesten« (Finanzminister Baroin) und die diktatorischen Vorschläge gegenüber Griechenland lehren die Franzosen das Fürchten. Medien-Intellektuelle wie Emanuell Todd sprechen von der deutschen »Neigung zur irrationalen Obstination«. Sollte sich diese Frage zuspitzen, bedeutet das Wasser auf die Mühlen des protektionistischen Anti-EU-Diskurses, wie ihn die Nationale Front ausbaut. Hollande buchstabiert den Mittelklassen einen anderen Weg, der scheinbar geringere Kosten verursacht als der Niedergang, den Sarkozy zugunsten der oberen 10% organisiert hat.

Der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten versucht die Mittelklassen ins Boot zu holen, die sich 2002 und 2007 den neoliberalen Bayrou und Sarkozy zugewandt hatten. Hollande spricht dabei die traditionell der PS affinen modernen Mittelschichten vorzugsweise im öffentlichen Dienst an, wo Sarkozy nur jede zweite frei werdende Stelle wieder besetzen ließ und damit Leistungsverdichtung und Qualitätsabbau betrieb. Dennoch will auch Hollande 2,1 Mrd. Euro durch »Steuerung der Effektivität des Personaleinsatzes« hereinholen. Die Studienförderung (0,6 Mrd.) und die berufliche Weiterbildung (1 Mrd.) sollen ausgebaut werden. 2,5 Mrd. Euro will er für die Rückverlagerung von Arbeitsplätzen nach Frankreich einsetzen.

Die sozialpolitischen Forderungen der Sozialisten nehmen sich bescheiden aus. Die unteren Volksklassen sind kein aktiver Bestandteil seines Projekts und angesichts der Ausmaße der europäischen Bank- und Finanzkrise wären Versprechungen hier auch riskant. Hollande stellt mehr soziale Gleichheit vor allem im Rentensystem in Aussicht, für das er 5 Mrd. Euro mehr ausgeben möchte. Allerdings schweigt sich der PS-Kandidat zu den Strukturreformen aus, die Sarkozy trotz massiver sozialer Proteste durchsetzen konnte (Rente mit 67, Verlängerung der notwendigen Beitragsphase usw.). Hollande unterschätzt damit die stabilisierenden Kräfte einer gestärkten Inlandsnachfrage.

Die Vorschläge der Sozialisten haben trotz der Zusage, den Kernenergie-Anteil an der Versorgung von 75 auf 50% herunter zufahren, bei den Grünen enttäuscht, die selbst aber nicht von der Startlinie gekommen sind. Sie schließen letztendlich die Türen gegenüber dem Vierten Mann, Francois Bayrou, der auch in diesem Präsidentschaftswahlkampf mit seiner Mischung aus neoliberalen Rezepten und christlich-solidarischem Menschenbild wieder hohe Zustimmungswerte erzielt. Stephane Hessel, einer der moralischen Gewährsträger eines besseren Frankreichs, hat derweil Hollande seine Unterstützung angetragen.

Der aktuelle Amtsinhaber philosophiert derweil öffentlich über die Annehmlichkeiten des Geldverdienens nach dem Amt und hat, als habe er es nicht nötig, bisher seine Kandidatur noch gar nicht erklärt. 56-58% Prozent für den Herausforderer signalisieren die Umfragen für den zweiten Wahlgang.