Die sechs EU-Gesetzesinitiativen zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung (Economic Governance / Six Pack)

Bewertung: Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik beim Bundesvorstand des DGB

28.09.2011 / Mehrdad Payandeh, Florian Moritz, 25. August 2011

Aus der Zusammenfassung
(das vollständige Dokument steht im Anhang als PDF-Datei zum Download zur Verfügung)

• Das „Six Pack“ besteht aus 5 EU-Verordnungen und einer Richtlinie, die die wirtschaftspolitische Steuerung („economic governance“) in Europa reformieren sollen. Es enthält eine Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und schafft einen Mechanismus zur Bekämpfung von Ungleichgewichten.

• Die sechs Entwürfe der Kommission wurden vom Europäischen Parlament (EP) abgeändert und sollen in veränderter Form voraussichtlich im September beschlossen werden.

• In zwei Punkten wurde offiziell noch keine Einigung erzielt: Erstens weigerte sich Frankreich, unterstützt von Deutschland, bislang „automatische“ Sanktionen im präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (also bevor Defizitgrenzen überschritten werden) zuzulassen. Offenbar wird dies jetzt aber akzeptiert. Zweitens will Deutschland nach wie vor verhindern, dass beim Mechanismus gegen Ungleichgewichte auch Leistungsbilanzüberschüsse ins Visier genommen werden.

• Das EP hat, auf Druck der Gewerkschaften, zahlreiche Verbesserungen durchgesetzt. Insbesondere wurden Sicherungsklauseln eingefügt, mit denen die Beachtung der Tarifautonomie und das Streikrecht garantiert werden. Auch wurde eine mögliche Beteiligung der Sozialpartner am Verfahren eingefügt und soziale Auswirkungen sollen berücksichtigt werden. Die Gesetze enthalten deshalb nicht so deutliche Angriffe auf Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte, wie der "Euro-Plus-Pakt", den die Regierungen als Selbstverpflichtung beschlossen hatten. Zudem wird grundsätzlich eine symmetrische Betrachtung der makroökonomischen Ungleichgewichte gefordert. Deshalb ist das Six Pack in weiten Teilen - einzige Ausnahme ist der Ferrera-Bericht- abzulehnen:

• Die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) sieht vor, dass Sanktionen früher und schneller greifen: Fristen werden verkürzt oder neu eingefügt, Sanktionen greifen künftig in der Regel automatisch (wenn der Rat nicht sofort mit qualifizierter Mehrheit widerspricht). Sanktionen werden schon fällig, wenn sich ein Staat nicht schnell genug auf einen ausgeglichenen Haushalt zu bewegt. Auch bei übermäßigem Defizit greifen Sanktionen und deren Verschärfung schneller – die erste Sanktion droht, sobald ein übermäßiges Defizit festgestellt wurde. Neu ist, dass nicht mehr nur ein Defizit von mehr als 3% des BIP sanktioniert wird, sondern auch ein Schuldenstand von mehr als 60% des BIP.

• Die Verschärfung des SWP schränkt antizyklische Finanzpolitik ein und führt zusammen mit der neuen Regel, dass Staatsausgaben i.d.R. langsamer als das BIP wachsen sollen, potenziell zu Austeritätspolitik, inklusive Sozialabbau und Kürzungen im öffentlichen Dienst. Sie kann nicht dazu beitragen, Schuldenkrisen wie die jetzige zu verhindern. Automatische Sanktionen sind zudem undemokratisch.

• Der neue Mechanismus gegen makroökonomische Ungleichgewichte sieht vor, dass Staaten anhand bestimmter Indikatoren (insb. zur Wettbewerbsfähigkeit – Leistungsbilanzen, Preis-/Kostenentwicklung etc.) auf die Einhaltung definierter Schwellenwerte überprüft werden. Bei festgestellten schweren Ungleichgewichten wird der betroffene Staat – auch mit Sanktionen – zur Korrektur gedrängt.

• Eigentlich wäre eine Betrachtung von Ungleichgewichten jenseits der Staatsverschuldung zu begrüßen.
Allerdings fällt der Mechanismus stark einseitig („asymmetrisch“) aus: Nach jetzigem Stand und verstärkt wenn Deutschland noch Änderungen durchsetzt, werden v.a. Staaten mit Leistungsbilanzdefiziten unter Druck gesetzt, für niedrigere Löhne, Deregulierung und sonstige Kostensenkungen zu sorgen.

• Ein asymmetrischer Abbau von Ungleichgewichten führt dazu, dass nicht Überschussländer ihre Binnennachfrage steigern und damit mehr aus Defizitländern importieren, sondern dass die Defizitländer ihre Nachfrage abwürgen und somit die Importe reduzieren. Es kommt im Zweifelsfall zu einer deflationären und rezessiven Entwicklung in der Eurozone.