Streitfall ÖBS

Von Tom Strohschneider

15.09.2011 / www.lafontaines-linke.de

Wenige Tage vor der Berlinwahl haben sich Linkenpolitiker für den Öffentlichen Beschäftigungssektor stark gemacht. Dabei geht es nicht nur um den Wahlkampf in der Hauptstadt, wo die Linke im ÖBS eines ihrer Kernprojekte sieht. Sondern auch um den innerparteilichen Programmstreit, in dem die Frage der staatlich geförderten Stellen mehr und mehr ins Zentrum rückt – wenige Wochen vor dem Erfurter Parteitag.

Linkenchefin Gesine Lötzsch nannte es „sozial, Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit zu geben, in einem öffentlichen Beschäftigungssektor wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können“. Und Bundestagsvize Petra Pau sagte, „eine sinnvolle, würdige und sozial versicherte Arbeit“ würde es für Tausende in Berlin ohne die Linke nicht mehr geben. „Alle Bundesregierungen, ob SPD und Grüne, ob CDU und SPD, ob CDU und FDP, haben Rot-Rot in Berlin behindert, wo immer sie es konnten. Aus einem einfachen Grund: Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor bricht mit der Hartz-IV-Logik.“ Das ist vor allem als Beitrag zur Programmdiskussion zu verstehen. Denn genau in die andere Richtung drängt derzeit ein Teil des sich links sehenden Flügels der Partei.

Am vergangenen Wochenende hatte sich ein Landesparteitag in NRW eine Änderungsvorschlag der Antikapitalistischen Linken zu eigen gemacht, in dessen Begründung es heißt, der im Leitantrag „als Mittel zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit aufgeführte ÖBS ist für diesen Zweck gänzlich ungeeignet. Er ist Ausdruck der Hartz-IV-Logik, der Spaltung der Erwerbslosen und wird daher abgelehnt“. Die AKL verlangt deshalb die Streichung einer Passage im Entwurf, auf den sich der Parteivorstand, also auch die verschiedenen Strömungen geeinigt hatten: „Öffentlich geförderte Beschäftigung muss sinnvolle und tariflich bezahlte Arbeitsplätze anbieten. Diese sollten besonders dort geschaffen werden, wo der Markt Bedürfnisse im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich nicht abdeckt. Die Annahme dieser Arbeitsplätze ist freiwillig.“

Den Vorwurf, mit Anträgen wie dem aus NRW den Programm-Kompromiss wieder aufzuschnüren, will die AKL nicht gelten lassen. Hier taucht ein allgemeines Problem des Flügelstreits auf: Sowohl AKL als auch Sozialistische Linke und Forum Demokratischer Sozialismus sowie Landesverbände und thematisch orientiere strömungsübergreifende Delegiertengruppen richten Änderungsanträge an den Erfurter Parteitag, dessen Zweck ja im Prinzip genau darin besteht, den unterschiedlichen Auffassungen zu bestimmten Formulierungen ein Podium zu geben – und letztlich Mehrheitsentscheidung herbeizuführen. Das Argument, Änderungsanträge würden einen einmal und schwierigen Bedingungen erreichten Kompromiss aufkündigen, geht so gesehen am Ziel vorbei.

Gerade bei der AKL schlägt das jedoch in eine Verteidigungsrhetorik um, die eine Diskussion über den Inhalt der entsprechenden Programmpassagen eher erschwert und die Auseinandersetzung auf eine symbolische beziehungsweise emotionale Ebene verschiebt: „Funktionären aus dem Reformerlager“ würden „immer wieder scharfe Angriffe gegen den Grundcharakter“, heißt es zum Beispiel hier, des Entwurfs fahren und versuchen, das Programm so „nach rechts zu schieben“. Im Zusammenhang mit der ÖBS-Frage nennt die AKL aktuell einen Leitantrag an den Parteitag Sachsen-Anhalt, in dem es heißt, die Landeslinke setze sich dafür ein, „das Konzept des Öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) weiterzuentwickeln und im Programm zu verankern“. Als „Rechtstendenz“ gilt der AKL offenbar nicht zuletzt der Bezug auf frühere PDS-Überlegungen. Jedenfalls heißt es bei der Strömung, in dem Antrag aus Sachsen-Anhalt werde gefordert, „dass in den Leitantrag der Öffentlich geförderte Beschäftigungssektor (ÖBS) in Form des alten Konzepts der PDS als dritter Sektor zwischen Markt und Staat aufgenommen werden soll“.

Nun ist die Diskussion um einen Dritten Sektor kein Steckenpferd der PDS allein gewesen, über die Frage, ob es sinnvoll und möglich ist, „gesellschaftlich notwendige Arbeit, die nicht durch den unternehmerischen Sektor finanziert wird bzw. finanzierbar ist, durch öffentliche Mittel als öffentlich geförderte Beschäftigung zu organisieren“, diskutieren auch Gewerkschaften, andere Parteien und Experten. Sie tun dies durchaus kritisch, weil mit Verdrängungseffekten zu rechnen ist und die Freiwilligkeit eine Konstruktion bleibt, solange im Hintergrund die Sanktionslogik von Hartz IV steht. In der Begründung des Änderungsantrags aus NRW wird darauf unter anderem verwiesen. Ebenso auf das immer noch geringe Niveau der Entlohnung.

Ein entscheidendes Argument der AKL verweist auf eine der Grundannahmen, die auch im Leitantrag zum Programm formuliert ist: dass es im sozialen, kulturellen und ökologischen Sektor Bereiche gibt, „wo der Markt Bedürfnisse (…) nicht abdeckt“. Diese Definition, so die AKL, sei „irreführend, da sie suggeriert, dass es im Kapitalismus Bereiche gebe in denen der Markt Bedürfnisse abdecken würde und das kapitalistische Wirtschaftssystem sich an gesellschaftlichen Bedürfnissen statt am Prinzip der Profitmaximierung orientieren würde“. Für den ÖBS, hält zum Beispiel der Antrag aus Sachsen-Anhalt dagegen, spreche, dass die Träger öffentlich geförderter Beschäftigung vor allem zivilgesellschaftlichen Akteure wie Vereine, Verbände und Bürgerinitiative sein sollen, hier also „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ ermöglicht werde, die nicht einfach durch Stellen im Öffentlichen Dienst ersetzt werden könnten. „Die Stärken von zivilgesellschaftlicher Verankerung – wie zum Beispiel der flexible Wandel entsprechend der sich verändernden Bedarfe, Bürgernähe und die Beteiligung bürgerschaftlichen Engagements, flache Hierarchien sowie basisdemokratische Teilhabe und Mitbestimmung, sollten kombiniert werden mit Standards wie der tariflichen Ausgestaltung von Arbeits- und Einkommensbedingungen.“

Es geht in der ÖBS-Debatte letztlich auch um einen gesellschaftspolitischen Grunddissens in der Linken: Was soll der Staat tun, was erwartet die Linke vom Staat, wie geht Transformationspolitik – “mit, im und gegen den Staat” (Raul Zelik)? Begriffe wie „Eigeninitiative und Eigenverantwortung“ machen die Diskussion, die hier geführt werden wird, nicht einfach, weil sie in gewisser Weise „neoliberal“ kontaminiert sind, was aber eben nicht heißt, dass deshalb die Idee, von den Menschen selbst organisierte, sozial oder ökologisch nützliche Arbeit „durch verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen“ zu unterstützen, dies selbst auch schon ist. Wenn umgekehrt die AKL „die „Schaffung von regulären, tariflich entlohnten, mitbestimmten und unbefristeten Stellen im öffentlichen Dienst und auf dem ersten Arbeitsmarkt für alle“ fordert, müsste man ebenso über die Fallstricke und Probleme eines auf den Staat als „guten Akteur“ und Arbeitgeber fixierten Denkens und das auch hier wenig mitschwingende gewerkschaftliche Vollbeschäftigungsparadigma diskutieren.

In einer Programmdebatte wird das nicht einfach sein. Die Linke kommt aber auch nicht darum herum. Auf der Ebene „Ausdruck der … oder … bricht mit der Hartz-IV-Logik“ wird die Frage, wie gesellschaftlich nützliche Beschäftigung, soziale und politische Engagements, kulturelle Arbeit etc. organisiert und finanziert werden kann, nicht zu beantworten sein. Die ÖBS-Anhänger sollten offen mit den Grenzen des Projekts unter den gegenwärtigen Bedingungen umgehen. Und die ÖBS-Kritiker die Chancen zur Kenntnis nehmen, die trotzdem darin stecken. (tos)

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Unter diesem Link finden Sie weitere Beiträge zum Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS)

Links und Dokumente zur Debatte

Memorandum 2008 Kurzfassung

Memorandum 2009 Kurzfassung

Memorandum 2010 Kurzfassung