Auf den Leim gegangen

Kommunen wurden von Banken zu hochriskanten Zinswetten gedrängt. Es geht um 63 Milliarden Euro. Städte können auf Schadensersatz klagen

14.09.2011 / Von Werner Rügemer, jW vom 13.11.2011

Der Zentrale Kreditausschuß (ZKA) der deutschen Banken hat dem Finanzausschuß des Bundestags nach langem Hinhalten mitgeteilt: Deutsche Kommunen haben Zins- und Währungswerte in einem Gesamtumfang von 63,7 Milliarden Euro angehäuft. Das ist der Stand Ende 2010. In einigen Fällen sind inzwischen zweistellige Millionenverluste bekannt geworden, etwa Remscheid mit 20 Millionen Euro oder Pforzheim mit 56 Millionen Euro. Zwar ist den Kommunen durch die Gemeindeordnungen eigentlich jegliche Art von Spekulationsgeschäften verboten. Doch weder Bundesregierung noch Landesregierungen sind jemals gegen bekannt gewordene Fälle vorgegangen.

Weitreichendes Urteil

Die Deutsche Bank war der Marktführer in diesem Gewerbe, aber auch US-Banken wie JP Morgan waren dabei. Die WestLB verkaufte allein in Nordrhein-Westfalen Zinswetten für vier Milliarden Euro. Ob die Angaben des ZKA vollständig sind und darin beispielsweise die Wetten der US-Banken enthalten sind, ist unklar.

Bei den riskanten Geschäften handelt es sich um sogenannte strukturierte Finanzprodukte. Verkäufer und Käufer wetten auf unterschiedliche Zinsentwicklungen zwischen kurz- und langlaufenden Krediten. Wer falsch liegt, muß dem Geschäftspartner den entsprechenden Betrag zahlen. Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen.

Die Banken verkauften die Wetten den Kommunen mit dem Versprechen der »Zinsoptimierung«. Das klang gut für die verschuldeten Stadtoberen. Doch Wetten kann man bekanntlich auch verlieren.

Die Kämmerer waren aber nicht die einzigen, die den Beratern auf den Leim gegangen sind. Auch mittelständische Unternehmer wurden von der Deutschen Bank mit solchen riskanten Wetten über den Tisch gezogen. Der Bundesgerichtshof (BGH) verurteilte das Frankfurter Geldinstitut dafür am 22. März 2011 zu Schadensersatz wegen bewußter Falschberatung. Geklagt hatte der hessische Unternehmer Willi Blatz, er erhält nun 541074 Euro. Die Deutsche Bank, so der BGH, habe »die Risikostruktur des Anlagegeschäfts bewußt zu Lasten des Anlegers gestaltet«. Sie habe ihre Kalkulation und die Risiken verheimlicht bzw. falsch dargestellt.

»Kaltblütig hintergangen«

Das Urteil aus Karlsruhe prangert damit zum ersten Mal in höchster rechtlicher Instanz an, mit welchen perfiden Methoden die Deutsche Bank arbeitet. Sie hatte das Vertrauen eines langjährigen »guten Kunden« kaltblütig hintergangen. Das Eingeständnis eines Fehlers gibt es von ihr nicht. Im Gegenteil, laut Medienberichten hatte der Anwalt der Bank, Reiner Hall, vor der Verhandlung die Richter gewarnt: Im Falle einer Niederlage käme es zu einer »zweiten Finanzkrise«.

Nun muß die Vertrauensseligkeit eines mittelständischen Unternehmers nicht bekümmern. Blatz hat jedoch mehr Mumm gezeigt als Dutzende von deutschen Oberbürgermeistern und Stadtkämmerern. Denn nur wenige Städte sind bisher seinem Beispiel gefolgt und haben Schadensersatzklagen eingereicht. So weigert sich etwa die Ratsmehrheit aus CDU, SPD und FDP in Mülheim an der Ruhr, gerichtlich gegen die Banken vorzugehen, denen sie Wettverluste in Höhe von 6,1 Millionen Euro zu verdanken haben – trotz öffentlicher Aufforderung durch die Ratsfraktion der Mülheimer Bürger-Initiativen (MBI).

Die Deutsche Bank argumentiert, sie habe die Städte nicht beraten, sondern als Geschäftspartner betrachtet. Die von ihr mitverursachte Verschuldung der Kommunen begreift sie als neue Gewinnmöglichkeit. Seit 2007 bietet sie mit der Ratingagentur Standard & Poor’s auch für Bundesländer und sogar kleine Kommunen Ratings an. Die beste Note »AA+ stabil« hat momentan das Land Baden-Württemberg inne, der Landkreis Miesbach mit seinen knapp 95000 Einwohner bekam ein »AA- stabil«.

Auch die anderen Ratingagenturen drängeln die Stadtkämmerer: Um zukünftig trotz wachsender Schulden noch Kredite zu bekommen, sollen sie eine Bewertung kaufen. Die Kosten belaufen sich auf 100000 Euro. Die Ratingagentur Fitch erwarb kürzlich vom Bundesamt für Statistik die Finanzdaten der 12000 deutschen Kommunen und Kreise und putzt nun die Klinke in den Rathäusern. Den Kommunen soll nach US-Vorbild zudem der Weg eröffnet werden, selber Anleihen auf den Markt zu bringen. Je höher die Schulden der öffentlichen Hand, desto höher der Gewinn bei Banken und Agenturen. Das ist nicht nur in Griechenland so.

Komplizen der Banken

Die »Verantwortlichen« in den Kommunen haben sich als Komplizen der Bank erwiesen, als sie das Spekulationsverbot für die öffentliche Hand gebrochen haben. Alle bisherigen Klagen wurden in erster Instanz abgewiesen. Die Richter verließen sich auf die Interpretation der als renommiert geltenden Deutschen Bank.

Das BGH-Urteil gegen das Frankfurter Geldhaus und die jetzt bekannt gewordene Dimension der Zinswetten sollten daher ein letzter Anstoß für betroffene Städte sein, endlich konsequent gegen die Falschberater vorzugehen. Damit könnten sie nicht nur eine wichtige Aufklärung für die Bürger leisten, sondern auch zukünftige Schäden vermeiden.