HÖLL/TROOST: ERFORDERLICHE MASSNAHMEN ZUR ÜBERWINDUNG DER EUROKRISE

Zur Diskussion auf der Fraktionsklausur am 26./27. August 2011 in Rostock

01.09.2011 / Von Barbara Höll und Axel Troost

Gerade angesichts der neuen konservativen Kapitalismuskritik müssen wir die seit Jahren wachsende Umverteilung von arm zu reich in das Zentrum unserer Argumentation rücken. Dies nicht nur als eine Frage der Gerechtigkeit, sondern gerade als zentrale Ursache für die Krise. Die seit Jahren wachsende Konzentration von Vermögen und Einkommen bei einigen Wenigen hat das Streben nach immer höheren Profiten angeheizt und die Spekulation anwachsen lassen. Die Umverteilung von Vermögen und Einkommen von oben nach unten dient daher auch der zukünftigen Verhinderung solcher Krisen. Langfristig kann damit auch die öffentliche Schuldenproblematik gelöst werden („Millionärsteuer als Schuldenbremse“).

Darüber hinaus müssen die Neustrukturierung und Schrumpfung des Bankensektors sowie die Beschränkung der Finanzmärkte erfolgen. Es gilt zu verhindern, dass weitere Steuermilliarden zur Rettung von Bankprofiten und zur Aufrechterhaltung der Spekulation verschwendet werden. Parallel ist ein europäisches Konjunkturprogramm aufzulegen.

Angesichts der Krisensymptome muss in der kurzen Frist die finanzielle Handlungsfähigkeit der Euro-und EU-Staaten hergestellt werden. Dazu muss auch die öffentliche Kreditfinanzierung sichergestellt werden, da sie für kurzfristige Reaktionen benötigt wird. Diese darf daher nicht länger Spielball der Akteure am Finanzmarkt sein.

DIE LINKE fordert daher die Umsetzung folgender Maßnahmen:

  1. Unverzüglicher Einstieg in die Umverteilung von oben nach unten, indem die Verursacher und Profiteuren der Krise für deren Kosten zur Kasse gebeten werden . Dies erfolgt über entsprechende steuerpolitische Maßnahmen (z.B. Finanztransaktionsteuer, wirksame Bankenabgabe, verstärkte Besteuerung von Vermögen).
  2. Finanzmärkte an die Kette und Banken vergesellschaften. Beispielsweise durch das Verbot von schädlichen Finanzinstrumenten (z.B. alle Leerverkäufe, ungedeckte Kreditausfallversicherungen) und der Tätigkeit von spekulativ handelnden Akteuren (z.B. Hedge Fonds, Schattenbanken etc.) sowie der Einführung einer öffentlichen Ratingagentur. Insolvente Banken sind zu vergesellschaften, mit dem Ziel einer Integration ihrer volkswirtschaftlich sinnvollen Tätigkeit in ein öffentliches Bankensystem und der Abwicklung ihrer unproduktiven Bestandteile.
  3. Einrichtung einer Europäischen Bank für öffentliche Anleihen zur kostengünstigen und finanzmarktunabhängigen Staatsfinanzierung.
    Hintergrund: Staaten brauchen nachwievor Kreditmittel, alleine schon deshalb weil Kredite auslaufen und daher erneuert werden müssen.
  4. Europäisches Konjunkturprogramm, insbesondere für die Krisenstaaten. Hintergrund: Die Kürzungsprogramme für die Krisenstaaten haben sich als kontraproduktiv erwiesen – sie haben die Krise in diesen Staaten und damit die konjunkturelle Situation in der EU insgesamt nur verschlimmert. Diese Maßnahme ist umso dringlicher, umso mehr sich die konjunkturelle Lage insgesamt verschlechtert.
  5. Angleichung der Volkswirtschaften durch koordinierte Wirtschafts- und Sozialpolitik: Die realwirtschaftlichen Ursachen der Krise müssen beseitigt werden, insbesondere muss das Lohn-, Steuer- und Sozialdumping beendet werden. Eine europäische Ausgleichsunion mit Sanktionen gegen hohe Leistungsbilanzüberschüsse ist einzuführen.
  6. Einführung von Eurobonds: Kurzfristig können Eurobonds eine Atempause schaffen, ihre Wirksamkeit ist allerdings durch das bisherige Verhindern ihrer Einführung gesunken. Die Spekulation gegen einzelne Eurostaaten werden sie nicht aufhalten können, da mögliche Spekulationsgewinne auch nach Einführung weiter sehr hoch ausfallen werden.

Letztlich muss Europa auf eine neue Vertragsgrundlage gestellt werden: Für ein soziales, friedliches und demokratisches Europa

Entwicklungen in der Eurokrise seit Juli 2011

Am 21. Juli haben die Staats-und Regierungschefs das zweite Rettungspaket für Griechenland und weitere Maßnahmen gegen die Eurokrise vereinbart:

  • Rettungspaket für Griechenland: Das neue Rettungsprogramm hat ein Volumen von ca. 109 Mrd. ¤. Kredite sollen nun, wie bei Irland und Portugal, über den EFSF begeben werden. Die Laufzeit der Kredite wurde dabei auf bis zu 30 Jahre deutlich verlängert. Auf Strafzinsen wurde verzichtet (Zinssätze von derzeit etwa 3,5 %). Die Zinssätze sollen auch für Portugal und Irland gelten.
  • Das Rettungspaket enthält auch Grundzüge für eine Beteiligung der Banken. Private Gläubiger können griechische Anleihen gegen neue tauschen, die zwischen 15 und 30 Jahren laufen oder sie gegen Abschlag verkaufen. Damit soll ein Forderungsverzicht von 21 % verbunden sein. Die eingetauschten neuen Anleihen werden über den Rettungsschirm EFSF abgesichert. Von den 109 Mrd. Euro werden 55 Milliarden zur Absicherung der Gläubigerbeteiligung gebraucht werden. Mit Josef Ackermann und Baudouin Proot (BNP) hatten auch zwei Banker am Gipfel teilgenommen.
  • Die Befugnisse von EFSF und ESM wurden ausgeweitet: Sie können nun Bankenrettungsmaßnahmen durch Darlehen unterstützen sowie bei einvernehmlichem Beschluss der Mitgliedstaaten auf den Sekundärmärkten intervenieren
  • Eine Bankensteuer wurde auf Drängen Deutschlands verhindert.

Die Ergebnisse des Gipfels sollen bis Ende September durch die Parlamente abgesegnet werden. Finnland will seine Hilfen an eine Vorzugsbehandlung knüpfen und würde damit faktisch aus dem Rettungsprogramm aussteigen. Derweil hat sich die Haushaltslage in Griechenland weiter verschärft: Athen geht jetzt von einem Defizit von mindestens 8 % anstelle der Zielvorgabe von 7,5 % aus. Grund sind steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen. Die griechische Wirtschaft wird 2011 voraussichtlich um 5 % schrumpfen.

In den USA lahmt die Wirtschaft weiterhin. Anfang August konnte nach zähem Kräftemessen die US-Schuldenobergrenze in letzter Minute angehoben werden. Die Republikaner konnten im Gegenzug Ausgabenkürzungen durchsetzen, Steuererhöhungen sind dagegen faktisch ausgeschlossen. Die Rating-Agentur Standard & Poors stufte daraufhin das US-Rating auf AA+ herab. Moody und Fitch blieben beim Triple-A. Derweil trüben sich die Konjunkturaussichten weltweit. Der Weltwirtschaft droht ein Abschwung, schlimmstenfalls eine Rezession.

Im August kam es zu Turbulenzen an den Finanzmärkten. Vier Staaten kündigten an, vorübergehend Leerverkäufe einzuschränken. Staatsanleihen von Spanien und Italien wurden weiter mit hohen Aufschlägen gehandelten. Die EZB hat deswegen erstmals in großem Umfang spanische und italienische Staatsanleihen aufgekauft (der EFSF hat noch kein Recht dazu).

Seit Mitte August ist dadurch die Debatte um Eurobonds aufgeflammt. Bundesregierung und einzelne Unionsabgeordnete schließen Eurobonds nun nicht mehr kategorisch aus. Schäuble schließt sie aus, „solange die Mitgliedsstaaten eine eigene Finanzpolitik betreiben“. Eurobonds treffen auf sehr große Vorbehalte in den Reihen der Union und vor allem der FDP. Auch in der Bevölkerung sind Eurobonds nicht sehr populär. Mit dem verklausulierten Nein scheint jedoch ein Einlenken vorbereitet zu werden, insbesondere für den Fall, dass sich die Lage um Italien und Spanien nicht entspannt. Das ifo-Institut ist mit jährlichen Mehrkosten von etwa 50 Mrd. Euro für Deutschland durch die Presse gezogen. Das Finanzministerium rechnet nach zehn Jahren mit Mehrkosten von 20 bis 25 Mrd. Euro (Aufschlag von 0,8 Prozent, entsprechend dem derzeitigen Aufschlag für Anleihen des Rettungsfonds). Andere behaupten, wegen der Liquidität könnten die Zinsen für Eurobonds sogar unter die für deutsche Staatsanleihen sinken.

Merkel und Sarkozy haben sich am 16. August in Paris auf gemeinsame Positionen verständigt. Dazu gehören:

  • Alle Eurostaaten sollen eine Schuldenbremse oder eine vergleichbare Regelung in ihre Verfassung aufnehmen.
  • Wirtschaftsregierung: Die Staatschefs der Eurostaaten sollen sich unter zweimal jährlich treffen, um die Koordinierung ihrer Wirtschafts-und Finanzpolitik zu verbessern. Außerdem soll die Euro-Gruppe der Finanzminister gestärkt werden.
  • Deutschland und Frankreich wollen bis Ende September einen gemeinsamen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer vorlegen.
  • Deutschland und Frankreich wollen ab 2013 eine einheitliche Unternehmenssteuer einführen.
  • Zahlungen aus den Struktur-und Kohäsionsfonds sollen für Staaten ausgesetzt werden, wenn sich diese nicht an Empfehlungen im Rahmen von Defizitverfahren halten. Eine Anpassung der Wirtschaftspolitik würde demnach nur von wirtschaftlich schwächeren Staaten erwartet.


Ergänzend zum deutsch-französischen Gipfel und dem Schreiben von Merkel/ Sarkozy an van Rompuy

Wenn Merkel sich darüber erleichtert zeigte, dass Demokraten und Republikaner in den USA sich auf die Anhebung der Defizitgrenze verständigen konnten, dann ist das an Scheinheiligkeit kaum noch zu überbieten. Denn obwohl ihr offensichtlich klar ist, dass eine strikte Ausgabenbegrenzung ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation verheerende Folgen haben kann, verfolgt sie nun mit der europaweiten Installation von Schuldenbremsen die gleiche Politik wie die Tea-Party-Bewegung in den USA. In Anbetracht der katastrophalen Zustände, die z.B. in Bildungs-, Gesundheits-und Pflegeeinrichtungen herrschen, ist es nun, da von privatem Konsum und unternehmerischer Investitionstätigkeit immer weniger Wachstumsimpulse zu erwarten sind, dringender denn je geboten die staatliche Nachfrage auszuweiten statt sie einzuschränken. Zwar reden Merkel und Sarkozy in ihrem Schreiben an van Rompuy davon, dass die Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung intensiviert und ein Vorschlag für eine Finanztransaktionsteuer erarbeitet werden solle. Aber von dem Vorsatz die Steuerhinterziehung bekämpfen zu wollen, sollte nicht zu viel erwartet werden, wie das Verhandlungsergebnis mit der Schweiz zeigt. Bleibt letztlich nur zu hoffen, dass die Absicht eine Finanztransaktionsteuer einzuführen wirklich ernst gemeint und nicht nur als preiszugebende Verhandlungsmasse gegenüber London im Kalkül ist.

Aktuelle Krisensymptome und erforderliche Maßnahmen

Die Eurokrise dauert an. Das Versagen der herrschenden Politik hat einen Dominoeffekt ausgelöst, wodurch mittlerweile auch Italien in eine Finanzierungskrise hineingezogen wird. Fällt Italien könnte die Finanzierungskrise über Frankreich letztlich auch Deutschland erfassen. Die Mittel des ESM reichen für eine Stützung Italiens nicht aus.

Zusätzlich haben sich mittlerweile weltweit die Konjunkturaussichten eingetrübt. Die starken Kurseinbrüche an den Aktienmärkten im August werden überwiegend auf diese zurückgeführt. Noch ist allerdings offen, ob es wirklich zu einer weltweiten Rezession kommt. Sollte dies der Fall sein, fallen wie im Jahr 2008 eine realwirtschaftliche Rezession und eine finanzwirtschaftliche Krise zusammen und verstärken sich wechselseitig.

Weder die USA noch die EU sind derzeit bereit, stabilisierungspolitische Maßnahmen zu ergreifen. So signalisieren die USA deutlich, dass sie nicht bereit sind, der konjunkturellen Eintrübung erneut durch eine expansive Geld-und Finanzpolitik zu begegnen. Angesichts der mangelnden Bereitschaft (vgl. auch das Erstarken der Tea-Party-Bewegung) der USA für die Werthaltigkeit ihrer Währung zu sorgen, wird eine Dollarabwertung erwartet. Das würde insbesondere China mit seiner Exportorientierung und seine hohen Dollarreserven belasten. Die Befürchtung eines bevorstehenden „Währungskriegs“ ist daher nicht aus der Luft gegriffen. Innerhalb der EU dominiert eine Wirtschaftspolitik die mit dem Vorrang der Haushaltskonsolidierung die konjunkturelle Erholung abwürgt. Die herrschende Politik ist einer Ideologie der „Schuldenbremse“ verfallen, wodurch sie sich ihrer finanziellen Spielräume im Vergleich zu 2008 beraubt. Dies manifestiert sich insbesondere in den drakonischen „Sparbedingungen“ für die Krisenländer. Die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die die Binnenkonjunktur belasten, bleiben unangetastet. Auch die neue Regierung in Großbritannien betreibt eine offen rezessive Wirtschaftspolitik. Die mangelnde stabilisierungspolitische Bereitschaft überlagert sich mit der konjunkturellen Abschwächungstendenz und verstärkt diese.

Auf den Finanzmärkten gehen einerseits Spekulation und Profitsteigerung unvermindert weiter, andererseits herrscht zunehmende Unsicherheit. So bieten die starken Kursausschläge (CDS!) der letzten Zeit weiterhin die Möglichkeit durch erfolgreiche Spekulation hohe Profite einzufahren. Im Vergleich zu der Situation vor der Krise im Jahr 2008 haben sich allgemein die Umsätze an den Finanzmärkten weiter aufgebläht und auch die Umverteilung von arm zu reich hat zugenommen. Die fortgesetzte Spekulation hat zu einer Zunahme der Unsicherheit geführt, die aktuell durch die konjunkturellen Aussichten und die offene Frage nach der Wertbeständigkeit des Dollars noch verstärkt werden. Inzwischen werden Bankpleiten befürchtet, aufgrund des gewachsenen Misstrauens leihen sich die Finanzinstitute untereinander kaum noch Geld aus. Die verstärkte Unsicherheit manifestiert sich auch in einer verstärkten Suche nach „sicheren Häfen“. Letzteres spiegelt sich insbesondere in den massiven Aufwertungen von Gold, Yen und Schweizer Franken wieder.

Verstärkte Unsicherheit und sinkendes Vertrauen zeigen sich aktuell auch in der aufkommenden (Finanz-)Kapitalismuskritik von politisch konservativer Seite. Ausgehend von den angelsächsischen Ländern ist diese inzwischen auch in Deutschland angekommen – siehe die aktuellen Artikel von dem FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher („Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“, FAZ vom 15. 8.2011) und dem Steuerrechtler Paul Kirchhof („Wir verteilen von Arm zu Reich“, F.A.S. vom 22.8.2011). Die konservative Kritik thematisiert auch die Verteilungsfrage.