Patientenrechte ausbauen

Positionspapier der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag vom 22. März 2011

29.03.2011


Einführung

Im Mittelpunkt unseres Gesundheitssystems müssen stets die Patientinnen und Patienten stehen. Die Wahrung ihrer Interessen ist daher oberstes Gebot. Um diese Zielsetzung bestmöglich zu realisieren, setzen wir uns für ein Patientinnen- und Patientenrechtegesetz ein. Dieses Gesetz soll die Rechte von Patientinnen und Patienten kodifizieren und ihre Umsetzung sichern.

Krankheit stellt häufig eine starke persönliche Belastung dar. Da das vorrangige Interesse der Genesung gilt, ist es schwierig, gleichzeitig die eigenen Rechte gegenüber Behandelnden oder Kostenträgern in Erfahrung zu bringen und durchzusetzen. Ein transparentes Recht, machbare Anforderungen für dessen Durchsetzung und eine angemessene Kalkulierbarkeit der Rechtsprechung sind notwendig, um die Situation für Patientinnen und Patienten wirksam zu verbessern.

Aktuelle Situation

Intransparente, uneinheitliche und vor allem fehlende gesetzliche Regelungen erschweren die Inanspruchnahme von Patientenrechten erheblich. Zur näheren Kodifizierung der Patientenrechte ist es in Deutschland bisher praktisch nicht gekommen, weswegen die Rechtsprechung sich gezwungen sah, den Willen des Gesetzgebers weitgehend zu interpretieren. Während in einigen Bereichen eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes existiert, ist in vielen anderen medizinrechtlichen Fragen die Rechtsprechung regional differenziert und für alle Beteiligten kaum kalkulierbar.

Die Patientenrechte leiten sich aus elementaren Grundrechten ab: Unantastbarkeit der Menschenwürde, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person. Die Grundrechtecharta der Europäischen Union geht noch weiter und gewährt das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit, Recht auf gesunde Arbeitsbedingungen sowie das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und zu ärztlicher Versorgung. Diese sozialen Grundrechte werden aber in Art. 52 Abs. 5 sowie durch den Vorbehalt der nationalen Gepflogenheiten zu unverbindlichen KANN-Vorschriften gemacht und sind nicht einklagbar. Die Fraktion DIE LINKE hat einen Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 16/13791).

Viele europäische Länder haben bereits nationale Patientenrechtegesetze verabschiedet (u. a. Dänemark, Finnland, Frankreich, Spanien, Österreich, Litauen und Slowenien). In Deutschland existiert mit dem Papier „Patientenrechte in Deutschland“ bislang nur eine unverbindliche und grobe Auflistung einzelner Rechte zur Information von Patientinnen und Patienten sowie von Leistungserbringerinnen und Leistungserbringern. Das Richterrecht und damit die gängige Rechtspraxis werden darin nur unzureichend beschrieben. Es bietet keine ausreichende Hilfestellung für Patientinnen und Patienten, weil es lückenhaft ist und sich niemand rechtlich darauf berufen kann.

Doch selbst „gesicherte“ Rechte existieren in Deutschland oftmals nur auf dem Papier. Das Recht auf Einsicht in die Krankenunterlagen ohne Nennung von Gründen, was ein gerichtliches und außergerichtliches Vorgehen erst ermöglicht, wird häufig nicht oder nicht vollständig gewährt. In der Realität werden viele Patientinnen und Patienten bei der Akteneinsicht behindert bzw. erhalten unvollständige oder - in seltenen Fällen - sogar gefälschte Dokumente.

Patientinnen und Patienten haben bei einem vermuteten Behandlungsfehler die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen außergerichtlich mit dem Behandelnden zu einigen. Diese Stellen sind bei den Ärztekammern angesiedelt und werden von den Haftpflichtversicherungen der Beschuldigten mitfinanziert. Nach Ansicht von Patientenorganisationen sind diese Stellen nicht unabhängig und neutral. Ihre Verfahren sind meist nicht qualitätsgesichert. Hinzugezogene Gutachter unterliegen keinen objektiven Qualitäts- oder Unabhängigkeitsanforderungen. Zudem sind beide Parteien nicht verpflichtet, einem Schlichtungsverfahren oder dem Schiedsspruch zuzustimmen. Häufig wird den Behandelnden eine außergerichtliche Einigung von ihren Haftpflichtversicherungen untersagt.

Gerichtsverfahren bei einem vermuteten Behandlungsfehler dauern häufig 5 Jahre und mehr. Da die Streitwerte oft hoch sind, trägt die Patientin bzw. der Patient ein erhebliches finanzielles Risiko. Das „Sezieren“ des eigenen Leids vor Gericht stellt eine große psychische Belastung dar. Der Prozessausgang ist nicht zuletzt aufgrund der unsicheren rechtlichen Situation auch für Expertinnen und Experten kaum vorherzusagen. Viele Patientinnen und Patienten sehen daher davon ab, ihr Recht auch durchsetzen zu wollen. Auch Ärztinnen und Ärzte werden durch die lange Verfahrensdauer und die aufwändigen Verfahren belastet. Zudem stellt das Risiko eines Schadenfalls mit entsprechend langwierigem Gerichtsverfahren für viele Ärztinnen und Ärzte eine Beeinträchtigung ihres Berufsalltags dar.

Die Schwierigkeiten beim Arzthaftungsprozess liegen zum Teil in der Natur der Sache (individuelle Krankheitsverläufe, nicht vorhersagbare Behandlungsergebnisse etc.), zum Teil aber auch in der Verteilung der Darlegungslasten der verschiedenen Parteien. Der Ursachenzusammenhang (Kausalität) zwischen Fehlbehandlung und Gesundheitsschaden ist oft sehr schwierig zu belegen. Dessen Nachweis birgt zwangsläufig große Probleme für diejenigen, welche die Beweislast tragen müssen. Obwohl vor allem die behandelnden Ärztinnen bzw. Ärzte beurteilen können, ob ihre Behandlung fachgerecht ausgefallen ist, liegt die gesamte Darlegungs- und Beweislast in der Regel bei der Patientin bzw. dem Patienten. Der Patientin bzw. dem Patienten bleibt zum Nachweis meist nur die Dokumentation der Ärztin bzw. des Arztes. Diese ist jedoch gar nicht für die juristische, sondern nur für die medizinische Nachverfolgung der Behandlung konzipiert.
In den meisten Arzthaftungsprozessen kommt der Gutachterin bzw. dem Gutachter eine zentrale Rolle zu. Aufgrund ihrer bzw. seiner Einschätzung wird in der Regel entschieden, ob ein Behandlungsfehler vorliegt und ob dieser als grob einzuschätzen ist. Damit eng verbunden ist die Frage, wer die Beweislast zu tragen hat und damit häufig der Ausgang des Verfahrens. An die Qualifikation und Unabhängigkeit der Gutachter und Gutachterinnen sind daher hohe Anforderungen zu stellen.

Für ein innovatives Patientinnen- und Patientenrechtegesetz

Für die Wahrung der Rechte von Patientinnen und Patienten fordert die Fraktion DIE LINKE. ein Patientinnen- und Patientenrechtegesetz. Diese Rechte beziehen sich nicht nur auf die Diagnose und Therapie, sondern auch auf Pflege- und sonstige Gesundheitsleistungen. Statt eines undurchschaubaren und teils unkalkulierbaren Flickenteppichs sollen klar kodifizierte Rechte den Patientinnen und Patienten Rechtssicherheit bringen. In verschiedenen Schlüsselfragen sind die bestehenden Patientenrechte zu erweitern.

Folgende Rechte sind in dem Gesetz festzuschreiben.

1. Recht auf gute Behandlung

Die Gesundheitsversorgung muss allen Bürgerinnen und Bürgern barrierefrei 1) zugänglich sein und dem medizinischen Wissensstand entsprechen. Die Gesundheitsversorgung darf für die Patientinnen und Patienten nicht mit Kosten oder Auslagen (Zuzahlungen, Praxisgebühr, Vorkasse etc.) verbunden sein. Die Würde des Menschen ist in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung zu achten.

Zu einer „guten Behandlungsqualität“ zählt in diesem Sinne nicht nur die Qualität im Sinne der medizinischen Wissenschaft, sondern auch die größtmögliche Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten über das Ergebnis der Behandlung von Grunderkrankung und Begleitsymptomen sowie über den Behandlungsverlauf, ggf. auch ein möglichst minimierter Kostenaufwand. Der Patient bzw. die Patientin ist darüber aufzuklären, wie sie bzw. er zur Sicherung des Heilerfolges beitragen kann.

Alle Patientinnen und Patienten haben bei Nachweis einer Krankenversicherung das Recht auf eine zeitnahe Behandlung nach aktuellem Standard. Dies betrifft insbesondere auch Versicherte im Basistarif der privaten Krankenversicherungen. Ist eine Ärztin oder ein Arzt aus Auslastungsgründen nicht in der Lage, eine Patientin oder Patienten zeitnah zu behandeln, hat sie bzw. er die Vermittlung einer Ärztin oder Arztes in zumutbarer Erreichbarkeit durch die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu initiieren. Wird der oder dem Versicherten in angemessener Zeit keine Behandlung angeboten, ist die KV mit Abzügen zu sanktionieren.

Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, über ihren gesundheitlichen Zustand, Diagnose, Behandlungsmethoden- und alternativen, Dauer und persönlich zu tragende Kosten, mögliche Nebenwirkungen und Risiken sowie Erfolgsaussichten inhaltlich und sprachlich verständlich aufgeklärt zu werden (Selbstbestimmungsaufklärung). Diese Aufklärung muss der Patientin oder dem Patienten individuell angepasst und barrierefrei zugänglich sein. Insbesondere sind sprachliche Barrieren mithilfe eines spezialisierten Dolmetscherdienstes zu überwinden. Bei Eingriffen ist der Patientin bzw. dem Patienten eine Kopie der Aufklärung auszuhändigen. Desweiteren besteht das Recht auf Nichtwissen. Demnach haben Patientinnen und Patienten das Recht, ausdrücklich und in schriftlicher Form auf die Selbstbestimmungsaufklärung ganz oder teilweise zu verzichten (Recht auf Nichtwissen). Voraussetzung dafür ist, dass die Patientinnen und Patienten über die Tragweite ihrer Entscheidung informiert wurden.

Für Leistungen außerhalb des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung ist ein sicherer rechtlicher Rahmen zu schaffen. Patientinnen und Patienten haben das Recht auf umfassende Informationen über sog. Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL). Dies betrifft insbesondere auch Informationen darüber, warum die jeweilige Leistung nicht Bestandteil des GKV-Leistungskataloges ist, welche Behandlungsalternativen existieren und welche Kosten den Patientinnen und Patienten entstehen. IGeL dürfen ohne angemessene Bedenkzeit und schriftlicher Einwilligung der Patientin bzw. des Patienten nicht erbracht werden. Es sind wirksame Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die Erbringung von IGeL zu ergreifen. Auf die Möglichkeit einer Beratung durch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) ist hinzuweisen.

2. Pflichten der Leistungserbringerinnen und –erbringer

Risikomanagement

Zur Qualitätssteigerung und Fehlervermeidung ist ein Risikomanagementsystem einzuführen bzw. vorhandene Systeme auszubauen und zu vereinheitlichen. Fehler sind Bestandteil des menschlichen Wirkens und auch Produkt von äußeren Bedingungen. Der Umgang mit Fehlern ist aber immer noch stark mit persönlichem Versagen assoziiert. Wir brauchen eine qualitätsfördernde Fehlerkultur und ein Arbeitsumfeld, das Arbeiten auf hohem Niveau ermöglicht und fördert.

Ein Fehlermeldesystem ist folgendermaßen aufzubauen:

Alle Behandelnden können anonym eigene Behandlungsfehler und Beinahe-Fehler an eine zentrale Stelle, z.B. Patientenbeauftragten, melden. Daraus darf den Behandelnden kein Nachteil entstehen. Auch andere Behandelnde (z.B. nachbehandelnde Ärztinnen und Ärzte) sowie Patientinnen und Patienten können vermutete Behandlungsfehler an die zentrale Stelle melden. Dies erfolgt unter Nennung von Namen. Diese Daten werden nicht veröffentlicht. Die personenbezogenen Daten können zur Ermittlung von mutmaßlichen Fehlerhäufungen dienen, welche zu einer Kontaktierung des/der Betreffenden führen können, um mit ihm/ihr gemeinsam nach den Ursachen zu suchen. Richterinnen und Richter, die rechtskräftig einen Behandlungsfehler festgestellt haben, werden verpflichtet, den Fehler an die zentrale Stelle zu melden. Diese Fälle werden unter Nennung des/der Behandelnden veröffentlicht.

Dokumentation

Alle Leistungserbringerinnen und –erbringer haben die wesentlichen Schritte und Ergebnisse ihrer Behandlung so zu dokumentieren, dass Kolleginnen und Kollegen die Behandlung nachvollziehen können und die Ermittlung im Schadensfall ermöglicht wird.

3. Recht auf gesundheitliche Selbstbestimmung

Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, die Behandlungsmethode, den Behandlungsort sowie grundsätzlich die oder den Behandelnden frei auszuwählen. Einschränkungen sind ausschließlich zur Verbesserung der Versorgungsqualität, z.B. im Rahmen einer hochwertigen integrierten Versorgung vorzusehen. Es besteht das Recht auf eine Zweitmeinung. Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, eine Behandlung abzulehnen oder zu beenden.

4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Sämtliche Informationen über Patientinnen und Patienten müssen streng vertraulich behandelt werden. Dieses Recht wird nur dann aufgehoben, wenn die Patientin oder der Patient selbst die Vertraulichkeit außer Kraft setzt oder medizinische oder juristische Gründe eine Bekanntmachung erzwingen. Alle Behandelnden, Kostenträger und andere beteiligte Personen sind verpflichtet, sämtliche Daten vor unbefugtem Zugriff zu schützen.

Es besteht das Recht auf zeitnahe Einsichtnahme in sämtliche Krankenunterlagen. Die Behandelnden sind darüber hinaus verpflichtet, unaufgefordert und kostenfrei eine Dokumentation der wesentlichen Behandlungsschritte und Befunde an die Patientinnen und Patienten auszuhändigen. Diese Regelung kann nur durch einen ausdrücklichen, schriftlichen Widerspruch des Patienten oder der Patientin aufgehoben werden (Recht auf Nichtwissen). Für schwer kopierbare Unterlagen (z.B. bei bestimmten bildgebenden Verfahren) sind die Befunde ausführlich zu dokumentieren und den auszuhändigenden Dokumenten beizufügen.

5. Rechte gegenüber Kostenträgern

Die gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind verpflichtet, die Wahrung des Gemeinwohls in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Die Rechte von Patientinnen und Patienten sind aktiv umzusetzen. Patientinnen und Patienten haben Anspruch auf umfassende Aufklärung über ihre Rechte. Die gesetzlichen Krankenkassen sind verpflichtet, ihre Versicherten bei Verdacht eines Behandlungsfehlers bei der Aufklärung des Sachverhaltes und vor Schlichtungsstellen sowie vor Gericht zu unterstützen. Die Pflichten von Privatversicherungen sowie sonstigen Kostenträgern sind analog auszugestalten.

Patientinnen und Patienten haben das Recht auf eine transparente und zeitnahe Bearbeitung ihrer Anliegen. Dazu zählen insbesondere Genehmigungs- incl. Widerspruchsverfahren von Leistungsanträgen. Maßgeblich für die Genehmigung ist der Einzelfall.

6. Rechte im Schadensfall

a) Wenn eine Patientin oder ein Patient durch eine fehlerhafte Behandlung zu Schaden gekommen ist, hat sie bzw. er das Recht auf angemessenen Schadensersatz. Alle Leistungserbringerinnen und –erbringer haben ab Aufnahme der Tätigkeit eine Berufshaftpflichtversicherung nachzuweisen. Die Regelungen des § 51 Bundesrechtsanwaltsverordnung sind entsprechend zu übertragen und gelten jeweils für die zu haftende Institution (z.B. auch für Krankenhäuser). Die Mindestversicherungssumme ist am Schadensrisiko des jeweiligen Leistungserbringers auszurichten. Hat ein Behandlungsfehler zum Tod geführt, haben die Hinterbliebenen das Recht auf Entschädigung („Trauerschaden“).

b) Behinderungen der Ermittlung (z.B. Behinderung der Einsichtnahme in die Krankenunterlagen, Manipulation der Krankenunterlagen) müssen scharf sanktioniert werden und verlagern die volle Beweislast auf die Seite der bzw. des Behandelnden. Computerprogramme, die nachträgliche Veränderungen an der Dokumentation unmöglich oder sichtbar machen, sind zu prüfen. Auch die bisher praktizierte Beweislastumkehr bei Dokumentationsfehlern ist gesetzlich zu fixieren.

c) Die von der Rechtsprechung entwickelten Beweiserleichterungen sind durch das Patientenrechtegesetz weiterhin zu garantieren und auszubauen. Die beim Baurecht angewandte Symptomtheorie ist entsprechend zu übertragen: Der Patient oder die Patientin (Kläger) hat vor Gericht darzulegen, dass ihm bzw. ihr durch die Behandlung ein Schaden entstanden ist. Die Ärztin bzw. der Arzt (Beklagte) kann darlegen, dass dieser Schaden für ihn unabwendbar war und auch bei Einhaltung des Facharztstandards nicht auszuschließen gewesen wäre. Zur Klärung des Sachverhaltes kann das Gericht unabhängige Gutachterinnen bzw. Gutachter bestellen, deren Ausführungen durch Privatgutachten ergänzt werden können. Stellt das Gericht einen Behandlungsfehler fest und ist dieser objektiv geeignet, den beschriebenen Schaden zu verursachen, wird ein ursächlicher Zusammenhang vermutet. Kann die bzw. der Beklagte diese Vermutung nicht erschüttern, ist er entschädigungspflichtig.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Tatbestände, die zu einer vollständigen Umkehr der Beweislast führen, sind gesetzlich zu fixieren und insbesondere für den „groben Behandlungsfehler“ zu spezifizieren.

d) Die Einführung eines Entschädigungsfonds zur Deckung von Entschädigungs- und Schmerzensgeldforderungen ist zu prüfen. Dieser Fonds würde, wie bisher die Haftpflichtversicherungen, aus Mitteln der Leistungserbringer unterhalten. Zu prüfen sind auch Modelle, die eine Prämienabsenkung bei längerer Zeit ohne Behandlungsfehler und Prämienanhebungen bei überdurchschnittlicher Häufung von Fehlern bewirken. Der Fonds könnte als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgestaltet werden und somit Ansprüche an diesen der Sozialgerichtsbarkeit unterliegen. Da er im Gegensatz zu Versicherungsunternehmen nicht gewinnorientiert arbeitet, wären bei identischen Haftungssummen geringere Prämien für die Leistungserbringerinnen und –erbringer möglich.

e) Durch eine zentrale Stelle ist ein Gutachterpool aufzubauen. Die Sachkunde und die Unabhängigkeit der Gutachterinnen und Gutachter sind durch verbindliche Vorgaben sicherzustellen und zu überprüfen. Die Gutachten haben von der zentralen Stelle zu definierende Mindestanforderungen zu genügen und sind in angemessener Zeit anzufertigen, um die Prozessdauern zu verkürzen. Damit Privatgutachten für alle Prozessparteien bezahlbar sind, sind Höchstpreise für Gutachten in einer Gebührenordnung zu regeln. Es sind geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der Zahl der Gutachterinnen und Gutachter zu ergreifen.

f) Außergerichtliche Einigungsmöglichkeiten sind zu stärken. Die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern sind unabhängig auszugestalten und das Prinzip der Waffengleichheit analog den Vorgaben bei Gerichtsprozessen herzustellen. Für hinzugezogene Gutachterinnen und Gutachter sind die Vorgaben laut Punkt e) anzuwenden. Patientenvertreter und –vertreterinnen sind an den Verfahren und Entscheidungen zu beteiligen. Die Qualität der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen ist bundeseinheitlich zu sichern. Längerfristig sind die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen an von beiden Prozessparteien unabhängigen Stellen zu etablieren.

7. Kollektive Beteiligungsrechte

Patientinnen und Patienten haben das Recht, sich an der Entwicklung von Gesundheitsdienstleistungen und deren Qualitätssicherung zu beteiligen. Da es sich um ein gesamtgesellschaftliches Interesse handelt, sind die maßgeblichen Patientenorganisationen mit Mitteln des Bundes in die Lage zu versetzen, ihre Vertretungsfunktion in höherem Maße wahrnehmen zu können. Dies ist auch eine unabdingbare Voraussetzung für das perspektivisch zu fordernde Stimmrecht von Patientenvertreterinnen und –vertretern in Sachfragen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Bis dahin ist Patientenvertreterinnen und -vertretern im G-BA ein Stimm- und Antragsrecht in Verfahrensfragen einzuräumen. Dafür ist die Stabsstelle Patientenbeteiligung beim G-BA finanziell und personell aufzuwerten.

Patientenvertreterinnen und -vertreter sind angemessen an den Entscheidungen von Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen sowie auf Bundes- und Landesebene zu beteiligen. Es sind regelmäßig hauptamtliche Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher in Krankenhäusern einzuführen. Alle Länder haben Patientenbeauftragte zu benennen.