BUCHTIPP: Arbeit, Kapital und Staat

Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft

01.02.2011 / Heinz J. Bontrup

Heinz-J. Bontrup, Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirt­schaft, 4., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl., Köln 2011,649 S., 28,00 ¤, ISBN 978-3-89438-326-8
Neuerscheinung des „Klassikers“ zur Wirtschaftsdemokratie von Heinz-J. Bontrup.
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Die umfassende Antwort auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise heißt Wirt­schaftsdemokratie. Heinz-J. Bontrup hat gerade im PapyRossa Verlag sein umfas­sendes Werk zur Wirtschaftsdemokratie in 4., völlig überarbeiteter und erweiterter Auf­lage vorgelegt. Wer sich auf Bontrups Standardwerk zur Wirtschaftsdemokratie einlas­se, schrieb die Frankfurter Rundschau zur 1. Auflage, werde „reichlich mit Erkenntnis­gewinn und Argumentationskompetenz belohnt“.

Vorwort zur vierten Auflage

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage im Frühjahr 2005 ist in Wirtschaft und Politik viel passiert. Im September 2005 wurde die zweite Legislaturperiode der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vorzeitig beendet und nach der ersten Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD von 1966 bis 1969 von einer zweiten Großen Koalition von 2005 bis 2009 abgelöst. Zum ersten Mal in der Geschich­te Deutschlands wurde mit Angela Merkel (CDU) eine Frau Bundeskanzlerin. Zu einem wirtschaftpolitischen Umdenken und zu einer verbesserten Wohlfahrtsentwicklung für alle Menschen in unserem Land ist es damit aber nicht gekommen. Weiter wurde auf einen unheilvollen Neoliberalismus gesetzt, der den „freien Markt“ geradezu als Heils­bringer für alles preist und den Staat als „Bürokratie- und Steuermonster“, als „Kost­gänger“ der marktwirtschaftlichen Profitwirtschaft, diskreditiert. Der Koalitionsvertrag von 2005 „Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit“ führte in der Um­setzung zu einer weiteren Umverteilung von unten nach oben. Nach der Wiedervereini­gung erreichte die gesamtwirtschaftliche Lohnquote 2008 mit nur noch 65 v.H. einen Tiefstand nach der Wiedervereinigung. Von 2004 bis 2008 gingen die Netto-Reallöhne sogar zurück, eine in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Entwicklung. Die Verteilungsverluste bei den Primäreinkommen der Arbeitnehmer betrugen insgesamt von 2000 bis 2008 fast 597 Mrd. EUR. Zusätzlich wurden die Unternehmer und Vermö­genden noch einmal mit Steuergeschenken und Entlastungen bei den Sozialabgaben beglückt. Dies und ein nur schwaches Wirtschaftswachstum bei weiter vorliegender Massenarbeitslosigkeit führten zwischen 2000 und 2008 zu Steuermindereinnahmen von 247 Mrd. EUR.

Die 1997 von der schwarz-gelben Bundesregierung ausgesetzte Vermögensteuer wur­de auch von der schwarz-roten Bundesregierung nicht wieder eingeführt und die 2009 novellierte Erbschaftsteuerreform spottet jeder Beschreibung. Politisches Ziel der Gro­ßen Koalition war hier lediglich das Steueraufkommen aus Erbschaften nicht ansteigen zu lassen. Dafür wurde aber 2007 die Mehrwertsteuer auf 19 v.H. angehoben, was ins­besondere niedrige Einkommen belastet. Wen wundert da insgesamt noch die weiter erschreckend zugenommene Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich? Die soziale Kluft wird immer breiter und tiefer. Fast jeder siebte Bundesbürger (15 v.H. der Bevölke­rung) war im Jahr 2007 arm. Ohne Sozialleistungen des Staates hätte die Quote sogar bei 24 v.H. gelegen. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Seit Mitte der 1970er Jahre herrscht Massenarbeitslosigkeit in Deutschland. Von den 60 Nachkriegsjahren können wir lediglich auf 12 Jahre Vollbeschäftigung zurückblicken. Dies kann man nur als ein totales Systemversagen und als eine politische Unfähigkeit im Hinblick auf eine Be­kämpfung der „Geißel“ Arbeitslosigkeit einstufen. Im konjunkturellen Aufschwung von 2006 bis 2008 ist seit Langem die registrierte Arbeitslosigkeit von fast 4,5 Millionen auf knapp 3,3 Millionen, also um rund 1,2 Millionen Erwerbslose, erstmals wieder zurück­gegangen. „Sieht man genauer hin, bleibt von dieser guten Nachricht aber so gut wie nichts übrig. Verursacht wurde dieser Rückgang nicht durch die Schaffung von norma­len Vollzeitstellen. Diese haben sogar dramatisch um zwei Millionen abgenommen. Ei­nen Boom gibt es dafür bei allen möglichen Arten von schlechter Arbeit: Teilzeitbe­schäftigung, Ein-Euro-Jobs, Mini-Jobs und Leiharbeit wurden kräftig ausgeweitet. (…) Die Zunahme von Beschäftigungsverhältnissen jenseits des Normalarbeitsverhältnisses hat dazu geführt, dass mittlerweile mindestens neun Millionen Menschen im Niedrig­lohnsektor arbeiten – ein Viertel aller abhängig Beschäftigten“ (Arbeitsgruppe Alternati­ve Wirtschaftspolitik 2009: 110f.). Wir haben in der Wirtschaft den Zustand erreicht, dass Menschen trotz voller Arbeit bei einer 40-Stunden-Woche arm sind und deshalb staatlich alimentiert werden müssen. Dies liegt wesentlich an einer von den neoliberalen Kräften im Land politisch gewollten Ausweitung des Niedriglohnsektors, der in Anbe­tracht eines enormen Überschussangebots an Arbeit (in Deutschland fehlen rund 5 Mil­lionen Arbeitsplätze) und einem verstärkten Strukturwandel in Richtung Dienstleis­tungssektor seinen Nährboden findet.

Die Gewerkschaften sind unter diesen Bedingungen kaum noch in der Lage flächende­ckende Tarifverträge abzuschließen, geschweige denn produktivitätsorientierte Real­lohnerhöhungen durchzusetzen. Auch dringend benötigte kollektive Arbeitszeitverkür­zungen bleiben so in den Tarifverhandlungen auf der Strecke. Die Beschäftigten in Wirtschaft und öffentlichen Verwaltungen sollen paradoxerweise bei vorliegender Mas­senarbeitslosigkeit nicht kürzer, sondern länger, und dies zu abgesenkten Löhnen, ar­beiten, und die Arbeitslosen werden vielfach in neofeudaler Manier als „faul“ und „unwil­lig“ eingestuft, die den Sozialstaat ausnutzen würden. Neoliberale Politik bekämpft lie­ber die Arbeitslosen als die Arbeitslosigkeit. Anstatt „Hartz IV“ abzuschaffen oder zu­mindest die Regelsätze kräftig anzuheben, verschärfte die „schwarz-rosarote“ Bundes­regierung zwischen 2005 und 2009 mit drei Änderungs- und Fortentwicklungsgesetzen sogar noch den Druck auf Arbeitslose jeden auch nur denkbaren Ausbeutungsjob an­zunehmen (Segbers 2009: 102ff.).

Auch in der Sozialpolitik gab es unter der „schwarz-rosaroten“ Bundesregierung keinen Fortschritt. Sechs Jahre hintereinander mussten die Rentner reale Rentenkürzungen hinnehmen. Erstmals 2009 kam es bei nominalen Anhebungen von 2,41 % (West) und 3,38 % (Ost) wieder zu einer realen Rentenerhöhung. Außerdem wurde die Regelal­tersgrenze auf 67 Jahre angehoben, was nicht nur sozial verwerflich, sondern auch vor dem Hintergrund bestehender Massenarbeitslosigkeit völlig kontraproduktiv ist. Die Rentenkürzungen, schon unter „rosarot-grün“ beschlossen, werden einen großen Teil der Bevölkerung in die Altersarmut führen. Und auch im Gesundheitswesen wurde mit dem Konstrukt eines „Gesundheitsfonds“ keine nachhaltige Finanzierungsgrundlage für die Gesetzliche Krankenversicherung geschaffen. Der Gesundheitsfonds schont die Unternehmen und belastet zusätzlich die Versicherten.

In der Bildungspolitik klaffen nachwievor Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Kaum noch jemand fordert nicht mehr für die Bildung zu tun. Zumindest in Sonntagsre­den. Auch der Bundespräsident, Horst Köhler (CDU), hat endlich erkannt, dass das deutsche Bildungswesen chronisch unterfinanziert ist. Um allerdings die Bildungsaus­gaben auf den Mittelwert aller OECD-Länder anzuheben, müsste Deutschland pro Jahr rund 22 Mrd. EUR mehr ausgeben und um Länder wie Norwegen oder Schweden zu erreichen wären sogar zusätzliche Bildungsausgaben in Höhe von jährlich rund 63 Mrd. EUR erforderlich. Auch im Umweltschutz wird weiter zu wenig getan. Immer noch findet keine ausreichende Internalisierung der Natur und ihrer knappen Rohstoffe in den Preiskalkulationen der Unternehmen statt. Trotz drohender Klimakatastrophe wegen CO2 Emissionen ist der weltweite Klimagipfel in Kopenhagen kläglich an nationalen Egoismen gescheitert.

Mit dem Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte wurde dann allerdings im Herbst 2008 alles in den Schatten gestellt. Die größte Weltwirtschaftskrise seit 1929 brach vollends aus. In Deutschland ging 2009 in Folge der Krise die Wirtschaftsleistung, das reale Bruttoinlandsprodukt, um 5 v.H. zurück. Seit 1949 hat es einen derartigen Ab­sturz noch nicht gegeben. Der größte Rückgang des Bruttoinlandsprodukts mit - 0,9 v.H. war zuvor im Jahr 1975 eingetreten. Die neoliberalen Kräfte und die sie stützenden Medien waren geschockt. Hecktisch suchte man nach Schuldigen. Diese wurden schnell ausfindig gemacht: So bezichtigte man die „über ihre Verhältnisse lebenden Amerikaner“ und ihre „expansive Geldpolitik“ sowie weltweit auftretende „geldgierige und verantwortungslose Manager“. Damit wurde von den Neoliberalen geschickt von der wahren Krisenursache abgelenkt, die im seit Mitte der 1970er Jahre umverteilenden neoliberalen Klassenprojekt zu finden ist, das an seine eigenen Ausbeutungsgrenzen gestoßen ist. Immer mehr weltweite Umverteilung des Einkommens und Vermögens von unten nach oben haben zu einer solch großen Aufblähung hoch spekulativer Fi­nanzmärkte geführt – die zusätzlich noch von fast jeglichen staatlichen Kontrollen be­freit wurden – denen keine äquivalente reale Verwertungsmöglichkeiten mehr gegen­überstanden. Hinzu kam ein weiterer Ausbau der Privatisierung von Alterssicherungs­systemen, die über die Ersparnisse zusätzlich Geldkapital an die Finanzmärkte spülten.

Mit dem Ausbruch der Krise entdeckten dann die Neoliberalen den Keynesianismus, genauer den „Bastard-Keynesianismus“ (Joan Robinson), wieder, der mit Staatsver­schuldung den Privaten beistehen musste. Auf einmal sollte der Staat kein wirtschafts­politischer „Nachtwächterstaat“ mehr sein, sondern er sollte mit „Rettungsschirmen“ in Milliardenhöhe in den abstürzenden Bankensektor intervenieren. In vielen Ländern wur­den Banken zu ihrer Rettung sogar verstaatlicht. Auch in Deutschland kam es zu einem speziellen „Verstaatlichungsgesetz“ für die hier von allen Banken am schlimmsten be­troffene Hypo Real Estate (HRE). Außerdem wurden drei staatliche Konjunkturpakete gegen den enormen Wachstumseinbruch aufgelegt und eine gesetzliche Erweiterung von Kurzarbeit zur Vermeidung eines drohenden massiven Anstiegs der bereits beste­henden Massenarbeitslosigkeit beschlossen. Aus den neoliberalen „Brandstiftern“ wur­den so über Nacht keynesianische „Feuerwehrleute“. Aber kaum glaubte man, der Neo­liberalismus sei am Ende, da trat er auch schon wieder mit einer so genannten staatli­chen „Schuldenbremse“ in Erscheinung. Diese wurde zur Eindämmung der logischer­weise durch die Krisenbekämpfung angestiegenen Staatsverschuldung mit den Stim­men der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD vom Deutschen Bundestag im Juni 2009 beschlossen und ins Grundgesetz aufgenommen. Demnach dürfen sich zukünftig der Bund nur noch maximal mit 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts und die Bundeslän­der ab 2020 überhaupt nicht mehr verschulden. Die Ergebnisse dieser völlig kontrapro­duktiven Maßnahme stehen heute schon fest. Zukünftige Politikergenerationen werden zu einer prozyklischen Konjunkturpolitik gezwungen sein. Sie werden, wollen sie nicht gegen die Verfassung verstoßen, damit im Ergebnis die marktwirtschaftlich­kapitalistisch immanent auftretenden Krisen nicht entschärfen sondern verschärfen. Die neoliberalen Kräfte im Land können jetzt außerdem endlich richtig die Axt an den Sozi­alstaat anlegen. Es muss halt gespart werden. Wo ist dabei so ziemlich klar. Bei den eh schon Schwachen im Land. So wird es durch die „Schuldenbremse“ zu einer noch grö­ßeren Spaltung in Arm und Reich kommen.

Nach der von der CDU/CSU und der FDP gewonnenen Bundestagswahl im September 2009 ist davon auszugehen, dass die politischen Diskussionen und Auseinanderset­zungen in Deutschland heftiger werden. Das „bürgerliche Lager“ wird in fataler Weise den nur kurzzeitig abgetauchten Neoliberalismus neu auf die politische Bühne heben und weiter dem Marktradikalismus und nicht dem Staatsinterventionismus das Wort re­den. Den abhängig Beschäftigten, Arbeitslosen und den besonders sozial Schwachen, sowie den Rentnern will man die Krisenlasten aufbürden und die Unternehmer und Vermögenden weiter mit Steuergeschenken bedienen. So fordert die FDP massiv in neoliberaler Manier weitere Steuersenkungen – trotz eines krisenbedingten giganti­schen Anstiegs der Staatsverschuldung – und eine einkommensunabhängige Kopfpau­schale im Gesundheitswesen, die hier einer endgültigen Entsolidarisierung gleichkäme. Die „Schuldenbremse“ wird dabei als willkommenes Instrument zum weiteren Abbau des Sozialstaats zum Einsatz gebracht.

Um dies alles transparent zu machen und um weiter aufzuklären, sowie um eine grund­sätzliche wirtschaftspolitische Alternative zum „neoliberalen Einerlei“ aufzuzeigen, legen Autor und Verlag die vierte Auflage von „Arbeit, Kapital und Staat“ vor. Dazu wurde das Buch in allen Kapiteln überarbeitet. Es wurden, soweit dies statistisch möglich war, sämtliche empirischen Daten aktualisiert. Neue politische und ökonomische Entwick­lungen seit der 3. Auflage (2006) sind verarbeitet worden, überholte oder für nicht mehr so bedeutend angesehene Erkenntnisse wurden weggelassen. Dafür wurde im vierten Kapital „Wirtschaft und Staat im Sinne einer Wirtschaftsdemokratie“ ein Kapital „Zur schwersten Finanz- und Weltwirtschaftskrise seit achtzig Jahren“ hinzugefügt sowie ein ausführliches Umweltkapitel „Bis heute wird die Natur nicht gebührend beachtet“ einge­baut. Auch ist am Ende des Buches, in einem neuen 5. Kapitel, eine Conclusio im Hin­blick auf die wesentlichen Bausteine einer dringend notwendigen wirtschaftsdemokra­tischen Konzeption aufgenommen worden.

Heinz-J. Bontrup

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