Kapitalismus nicht Ende der Geschichte

Gastkolumne von Gesine Lötzsch im ND vom 8.1.2011

09.01.2011

Die entscheidende Frage in diesem Jahr ist: Können wir sieben Wahlkämpfe erfolgreich bestreiten und gleichzeitig ein solides Parteiprogramm beschließen? Ja, aber nur, wenn wir viel selbstbewusster werden! Ich wurde gefragt, ob wir uns in diesem Superwahljahr in der Programmdiskussion nicht etwas zurückhalten sollten, um die Menschen nicht zu verschrecken. Nein, unsere Wählerinnen und Wähler sind überhaupt nicht schreckhaft. Im Gegenteil!

Ist es nicht erstaunlich, dass DIE LINKE in den Umfragen stabil bei elf Prozent steht, obwohl das gesamte Establishment mit Mann und Maus gegen uns zu Felde zieht? Wenn wir noch mehr Menschen für uns gewinnen wollen, dann dürfen wir unsere langfristigen Ziele nicht schamhaft verstecken. Wir wollen eine andere, eine solidarische, ökologische und friedliche Gesellschaft – den demokratischen Sozialismus. Wir haben aus unseren Fehlern gelernt. Ein zurück zu einem autoritären Sozialismus wird es nicht geben. Das ist Konsens in unserer Partei.

Was die Menschen verschreckt und ihnen Angst macht, ist ein Kapitalismus, der aus dem Ruder läuft. Das konnten wir an allen Ecken und Enden dieser Welt seit Jahren beobachten, ohne direkt betroffen zu sein. Doch mit der größten Finanzkrise des Kapitalismus erleben wir in den Zentren des Kapitalismus hautnah die dramatischen Systemausfälle, die nur scheinbar wie Naturkatastrophen über uns hereinbrachen. Unbeholfen versuchten Regierungen in der ganzen Welt, diese Ausfälle notdürftig in den Griff zu bekommen. Milliarden an Steuergeldern wurden in der ganzen Welt bereitgestellt, um das kapitalistische Finanzsystem vor dem Zusammenbruch zu retten. Milliarden wird es noch kosten, den Euro vor dem Untergang zu bewahren. Allerdings haben die Regierungen nur die Spiel-Casinos dieser Welt mit frischem Geld versorgt, so dass die Spekulanten weiter zocken können. Die Ursachen wurden nicht beseitigt.

DIE LINKE fordert eine Finanztransaktionssteuer und viele andere Maßnahmen, um zukünftige Finanzkrisen einzudämmen. Doch wir wissen, dass auch die beste Regulierung des Kapitalismus solche Krisen nicht verhindern wird, weil sie zum System gehören. Diese Einsicht ist für uns von grundsätzlicher Bedeutung in den Landtagswahlkämpfen.
Eigentlich müsste jedes unserer Wahlprogramme mit einem kleinen Stern oder einer Fußnote versehen werden: Unser Wahlprogramm steht unter Vorbehalt. Krisen sind im Kapitalismus Teil des Systems und können uns immer wieder unsere hart erarbeiteten Erfolge kaputtmachen. Darüber müssen wir alle Wählerinnen und Wählern unbedingt aufklären. Die besten Wahlprogramme können nicht darüber hinwegtäuschen, dass uns der Kapitalismus erbarmungslos Grenzen setzt, wenn es um eine gerechtere, ökologischere und friedlichere Welt geht.

Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass wir in den Bundesländern auch nur die Armut verwalten können und es deshalb sinnlos wäre, wählen zu gehen. Denen sagen wir: Nur mit Ihrer Unterstützung wird es uns gelingen, die Verteilung der Reichtümer unserer Gesellschaft grundsätzlich neu zu regeln. Der Kapitalismus ist für uns nicht das Ende der Geschichte. Unser Ziel ist der demokratische Sozialismus.

Neues Deutschland, 8. Januar 2011