Behaltet Eure 5 Euro! – Die verlorene Ganovenehre von Schwarz-Gelb

Von Friedhelm Grützner, Bremen

29.09.2010

Es gab einmal eine Zeit, da stand jeder Ganove, der etwas auf sich hielt, mit einer ge­wissen Chuzpe zu seinen Schandtaten. Von der schwarz-gelben Bundesregierung kann man dies nicht behaupten. Die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, sich bei der Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze an dem diesbezüglichen Bundesverfassungs­gerichtsurteil nur vorbeizulügen und auf seine offene Missachtung zu verzichten, zeigt uns: Die schwarz-gelben Parteien CDU und FDP haben ihre Ganovenehre verloren (so­fern sie diese je besaßen), was angesichts des allgemein zu beobachtenden Verfalls der Sitten ein betrüblicher Vorgang ist.

Der politische Wille von Schwarz-Gelb, das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsge­richts zu unterlaufen, war seit Frühjahr dieses Jahres evident. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle startete seinen Feldzug gegen Langzeitarbeitslose, denen er – von seiner Klientel auf andere schließend - das Schwelgen in „altrömischer Dekadenz“ vor­warf. Gleichzeitig war von Berechnungsmethoden die Rede, welche statt des untersten Fünftels in der Einkommenshierarchie die letzten 10 % zur Grundlage des Statistikmo­dells machen sollten. Noch kurz vor der Entscheidung verkündete der selbsternannte Herz-Jesu-Sozialkathole Horst Seehofer, dass „die CSU einer Regelsatzerhöhung nur zustimmen will, wenn es verfassungsrechtlich überhaupt nicht anders geht“ – ein Satz nebenbei, welcher ein recht merkwürdiges Verhältnis zu verfassungsrechtlichen Vorga­ben enthüllt und der die Verfassungstreue des bayrischen Ministerpräsidenten mit ei­nem Fragezeichen versieht. Begleitet wurde diese Diskussion mit Kampagnen in der Springer-Schmutzpresse, wo es darum ging, die Niedriglohngruppen gegen die Lang­zeitarbeitslosen aufzuhetzen.

Schon unter Rot-Grün waren die Ergebnisse des Statistikmodells mit lachhaft begrün­deten Abschlägen versehen worden, wo die unter Niedriglöhnern bekanntermaßen weit verbreiteten Pelzmäntel, Segelflugzeuge und Sportboote nicht mit eingerechnet wurden. Und was Rot-Grün kann, das kann Schwarz-Gelb schon lange. Auch die derzeitige Ar­beitsministerin Ursula von der Leyen konnte es sich nicht verkneifen, an den vom Bun­desverfassungsgericht gerügten komödiantischen Pelzmäntel-Sportboote-Abschlägen anzuknüpfen, wenn sie ausführte, dass auch Menschen, „die mit Arbeit ihr eigens klei­nes Einkommen verdienen, ... sich nicht alles leisten können“. Mein Gott! Ist das so neu? Dieses „sich nicht alles leisten können“ ist doch bereits in der Verbraucherstich­probe enthalten. Die Logik von der Leyens besagt, dass man von dem eh schon mate­riell bedingten niedrigen Lebensstandard der Vergleichsgruppe noch einmal Abzüge vornehmen muss, was wohl kaum mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über­einstimmt.

Die Berechnung der Ausgaben des letzten Einkommensfünftels führen zu einem empi­rischen Ergebnis, das in deskriptiven Sätzen mitgeteilt wird. Wenn nun das Arbeitsmi­nisterium feststellt, dass „nicht alle in der Verbrauchstichprobe abgefragten Posten zwingend notwendig“ sind, dann haben wir es dagegen mit Wertungen zu tun, deren Maßstäbe von der Empirie losgelöst und – sofern diese Maßstäbe nicht offengelegt und eigenständig begründet werden - rein willkürlich sind. Wer entscheidet hier mit welchem Recht, was für ein menschenwürdiges Existenzminimum „zwingend notwendig“ ist und was nicht? Im Klartext: Die Politik maßt sich an, die eh auf einer knappen Ressourcen­grundlage aufruhenden Lebensführungskonzepte und individuellen Präferenzen des unteren Einkommensfünftels moralisch zu bewerten und auf dieser Grundlage das Le­ben von Transferempfänger nach ihren Vorstellungen zu regeln.

Und wenn erst einmal mit willkürlichen Wertentscheidungen in das empirisch ermittelte Ergebnis des Statistikmodells eingegriffen wird: wo soll das dann aufhören? Sind bei­spielsweise Süßigkeiten (welche bekanntlich Übergewicht und Karies fördern) „zwin­gend notwendig“? Und wie verhält es sich mit dem Erwerb von Büchern? Brauchen Hartz-IV-Empfänger, deren Intelligenz nach Heinsohn und Sarrazin genetisch bedingt defizitär ist, diese überhaupt? Wäre das nicht reine Geldverschwendung? Man sieht also: Ein Abweichen vom empirisch ermittelten Ausgabeverhalten des letzten Einkom­mensfünftels nach unten mittels normativ begründeter Abschläge öffnet allen möglichen Manipulationsmöglichkeiten und autoritären Zugriffen auf Lebensführungskonzepten Tür und Tor. Dies erinnert an Sozialstaatsdiskussionen im 19. Jahrhundert, als die ka­tholische Zentrumspartei unehelichen Wöchnerinnen die Kassenleistungen streichen wollte, weil es nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft sein könne, das Ergebnis einer „unsittlichen“ Lebensführung auch noch zu finanzieren.

Schwarz-Gelb ist feige! Der traditionellen Ganovenehre hätte es entsprochen, wenn CDU und FDP offen bekannt hätten: „Wir unterlaufen das Bundesverfassungsgerichts­urteil, denn wir sind gewählt worden, um die Interessen der Begüterten zu vertreten. Hier stehen wir, wir können nicht anders.“ Diese Ansage wäre offen und ehrlich gewe­sen. Und da wir Langzeitarbeitslosen wissen, woran wir bei dieser Regierung sind, hätte uns das nicht weiter verwundert. Die jetzt vorliegende Entscheidung, nach allem Klein­rechnen und Manipulieren eine Gnadengabe von fünf Euro zu gewähren, wirkt dagegen demütigend und „verarschend“. In ihr kommt das gedruckste schlechte Gewissen von Ganoven zum Ausdruck, die sich des Unrechts ihrer Taten eigentlich bewusst sind, die aber auf Grund der Interessen, denen sie sich verpflichtet haben, nicht anders können (Thilo Sarrazin würde allerdings sagen, dies sei genetisch bedingt), was sie mit einer plumpen symbolischen Geste zu kaschieren suchen. Die „Größe“ und Charakterstärke eines Mackeath aus The Beggar’s Opera fehlt ihnen. Im Vergleich zu dieser literari­schen Figur sind die Verantwortlichen der schwarz-gelben Koalition nur kleine Wichte. Wie sollte auch Guido Westerwelle seiner Restwählerschaft aus verkoksten Boni-Bankern erklären, dass man leider gezwungen gewesen sei, die lautstark in Aussicht gestellten Steuersenkungen zu vertagen, während man den Langzeitarbeitslosen eine Summe von 20 Euro im Monat für Tabak und Alkohol gewähre? Allein diese Vorstellung ist absurd. Warten wir also die nächste Bundestagsdebatte zu diesem Thema ab, die gewiss sowohl beschämende als auch erheiternde Elemente enthalten wird und die ausgiebig Stoff für weitere Kommentierungen abgeben wird.