„Vorfahrt für Bildung!“ Bildungs- und Wissenschaftsfinanzierung in der Krise

Erklärung - der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik - des Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) - der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

21.09.2010 / Fachtagung „Vorfahrt für Bildung!“ Bildungs- und Wissenschaftsfinanzierung in der Krise

Berlin, 18. September 2010


Deutschland spart sich dumm – und rechnet sich schön. Die politisch Verantwortlichen ziehen keinerlei Konsequenzen aus der Wirtschafts-und Finanzmarktkrise. Diese wird nicht beendet, sondern vielmehr verlagert. Deutschland hat kein Ausgaben-sondern ein Einnahmenproblem, das durch das aktuelle 80 Milliarden-Euro-Kürzungspaket der Bundesregierung noch verschärft wird. Die selbstverschuldete Krise der öffentlichen Haushalte wird auch zu einer Krise der sozialen Infrastruktur: die Krise des Bildungssystems wird infolge einer defizitären Finanzierung verstetigt und vertieft. Schlimmer noch: diese Politik gefährdet die perspektivische gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklung, welche im Übergang von der Industriegesellschaft zur „Wissensgesellschaft“ ein hohes Qualifikationsniveau in der sozialen Breite voraus setzt. Stattdessen droht in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen ein Fachkräftemangel.

Das „offizielle“ Kanzlerinversprechen, bis zum Jahre 2015 zehn Prozent des BIP für Bildung und Forschung auszugeben, wurde zwar auf mehreren Bildungsgipfeln bestätigt, über ein konkretes Finanzierungskonzept jedoch konnten sich Bund und Länder bisher nicht verständigen. Gemessen an diesem Versprechen fehlen dem deutschen Bildungssystem über 40 Milliarden Euro jährlich. Einzelne Bundesländer legen stattdessen Sparprogramme für die Hochschulen auf und Kommunen, die den Einbruch der Gewerbesteuer zu verkraften haben, erhöhen als Hauptträger der frühkindlichen Bildungseinrichtungen die Kita-Gebühren.

Der aktuelle OECD-Bildungsbericht 2010 dokumentiert zum wiederholten Male, dass Deutschland bei allen relevanten Indikatoren international immer mehr den Anschluss verpasst. Das hält die politisch Verantwortlichen nicht davon ab, aus geringfügigen selektiven Zuwächsen Erfolgsmeldungen zu machen. Tatsächlich ist zwischen 1998 und 2008 die Zahl der Erwerbsfähigen mit Hochschulabschluss jährlich um 0,9 Prozent gewachsen, international im gleichen Zeitraum jedoch um durchschnittlich 4,6 Prozent pro Jahr. Dass die Quote der Studienanfängerinnen und Studienanfänger (pro Altersjahrgang) im Wintersemester 2009/2010 erstmals deutlich über 40 Prozent (auf 43,3 Prozent) gestiegen ist, ist sicher erfreulich. Der OECD-Durchschnitt liegt allerdings bei 56 Prozent. Unter den 43,3 Prozent Studienanfängerinnen und Studienanfängern sind zudem etwa ein Sechstel ausländische Gaststudierende, deren überwiegender Teil (wegen Nicht-EU-Zugehörigkeit) dem deutschen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Die Quote der Studienanfängerinnen und Studienanfänger unter den Bildungsinländern liegt lediglich bei etwa 37 Prozent!

Die Bundesbildungsministerin hofft nun angesichts des Zuwachses bei den Studierenden auch die Zahl der Studienabschlüsse zu erhöhen und so in künftigen Länderrankings besser abzuschneiden. Allerdings sollte dabei nicht übersehen werden, dass immer mehr Studierende den gewünschten Studienabschluss gar nicht erreichen können, weil etwa in vielen konsekutiven Masterstudiengängen nur für 10 bis 20 Prozent der Bachelor-Absolventinnen und -absolventen Studienplätze zur Verfügung stehen. Eine formale Vermehrung der Studienabschlüsse auf niedrigerem Niveau schönt so natürlich die betriebswirtschaftliche Erfolgsbilanz. Wenn dies jedoch mit einer geringeren Qualifikation erkauft wird, ist der gesellschaftliche Zusatznutzen relativiert. Der Druck, Studienzeiten administrativ zu verkürzen und die Qualität des Studiums zu senken, ist wiederum – ob gewollt oder ungewollt – ein Effekt der strukturellen Unterfinanzierung des gesamten Systems.

Vor dem Hintergrund der prekären Situation öffentlicher Haushalte wird gleichzeitig versucht, vom Prinzip einer am gesellschaftlichen Bedarf und der Nachfrage orientierten Flächenfinanzierung des Bildungssystems, die von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ausgeht, endgültig abzugehen und finanzielle Zuwächse nur noch selektiv über mediengerecht an spektakuläre Programme von Leistungsstipendien, Exzellenz-und Elitenförderung zu verteilen. Damit verbunden sind Anreize, die Bildungsfinanzierung aus privaten Quellen zu erhöhen – und sich möglicherweise so rein statistisch dem 10-Prozent-Ziel zu nähern. Die Kehrseite davon sind eine Zementierung von Chancenungleichheit, Erhöhung der Konkurrenz und abnehmende Durchlässigkeit und Integration des Bildungssystems „nach oben“ – also das Gegenteil dessen, was eigentlich gesellschaftlich erforderlich ist. So empfiehlt sogar die – wettbewerbspolitisch und „humankapitaltheoretisch“ ausgerichtete – OECD Deutschland, auf eine stärkere soziale Öffnung der Hochschulen und eine Förderung bildungsferner Schichten besser zu achten.

Die bisherige Politik von leeren Versprechungen, spektakulären Einzelmaßnahmen und Ankündigungen sowie dem Hin-und Herschieben des Schwarzen Peters zwischen Bund und Ländern ist eindeutig an ihr Ende gekommen. Eine grundsätzliche bildungspolitische Wende ist überfällig. Notwendige Bedingung einer solchen Wende ist eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Grundfinanzierung in der gesamten Breite des Bildungssystems von den Vorschuleinrichtungen über Schulen und Hochschulen bis zur Weiterbildung.

Das ist jedoch keine rein verteilungstechnokratische Frage. Eine solche Wende in der Bildungsfinanzierung ist vielmehr integraler Bestandteil eines langfristig ausgerichteten gesellschaftlichen Zukunftsinvestitionsprogramms, welches die einzig richtigen Lehren aus der Wirtschafts-und Finanzmarktkrise zieht, damit diese nicht in eine gesellschaftliche Krise mündet. Erforderlich sind eine Stärkung der öffentlichen Nachfrage, ein Abbau der Unterversorgung mit öffentlichen Gütern sowie ein Ausbau der sozialen Infrastruktur vorrangig in den Sektoren Bildung und Umwelt. Eine systematische Hochqualifikationspolitik wiederum ist die Voraussetzung, um dringende gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern, künftigen wirtschaftlichen Wohlstand zu generieren sowie soziale Inklusion und demokratische Beteiligung zu ermöglichen.

Der Staat benötigt zur Finanzierung notwendiger Ausgaben im Bildungssystem, aber auch in den Bereichen Arbeit und Umwelt sowie zur Sicherung eines leistungsfähigen Sozialstaats Mehreinnahmen, die durch eine umfassende Reform des Steuersystems realisiert werden können. Dazu gehören u.a. eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Körperschaftsteuer sowie eine vollständige Besteuerung auch der Kapitaleinkommen und Dividenden mit dem individuellen Einkommensteuertarif. Unabdingbar ist es auch, die Vermögensteuer wieder zu erheben und Finanztransaktionen zu besteuern. Die stärkere Besteuerung derjenigen, die mit ihren Finanzvermögen die Krise überhaupt erst ermöglicht haben, ist dringend geboten. Die Kürzungspolitik muss beendet werden. Eine Ausweitung des öffentlichen Sektors ist volkswirtschaftlich sinnvoll und leistet einen deutlichen Beitrag zur Bekämpfung der Krise.

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