An Dreistigkeit kaum zu überbieten - Kommentar zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung

Von Axel Troost

16.09.2010

Die Bundesregierung behauptet, mit ihrem Kürzungspaket leiste sie einen „wachstumsfreundlichen, gerechten und ausgewogenen Sparkurs“. In Wahrheit verfolgt sie das Gegenteil: Das Kürzungspaket ist Klassenkampf von oben, schadet der Konjunktur und wälzt die Kosten der Krise auf die Bevölkerung ab. Ein Gutes hat es jedoch: Entgegen aller Sonntagsreden zeigt die Bundesregierung nun, wo es konkret wird, nach welcher Regel sie Politik macht: Kürzen nach dem Prinzip des geringsten Widerstands.

Das Kürzungspaket ist nicht nur sozial falsch und ökologisch blamabel, es ist auch ökonomisch kontraproduktiv. Die Steuerreformen seit 1998 haben dem Staat im Zeit­raum 2000 bis 2010 Steuerausfälle von insgesamt rund 335 Milliarden Euro beschert.(1) Statt endlich auf der Einnahmenseite anzusetzen, setzt die Bundesregierung die Sparerei bei Beschäftigten und vor allem bei SozialleistungsempfängerInnen fort. Dies drückt die private Nachfrage und bremst das Wirtschaftswachstum. Makroökonomisch ist das bedenklich: Zur Krise kam es auch deswegen, weil im Inland aufgrund fehlender Binnennachfrage ungenügend Investitionsmöglichkeiten gegeben waren. Banken und Vermögende suchten daher nach Möglichkeiten, ihr Geld im Ausland arbeiten zu las­sen. Dies nährte Blasen auf den Finanzmärkten, die schließlich platzten. Die deutschen Banken wurden in der Finanzkrise überproportional getroffen.

Dass die tiefere Ursache der Krise in den globalen Ungleichgewichten liegt, hat die Bundesregierung bisher noch nicht eingesehen. Neben einer Stärkung der Binnen­nachfrage, die auch für den Fortbestand der Währungsunion notwendig ist, muss die Bundesregierung auch mit der Umverteilungspolitik von unten nach oben aufhören. Der Anteil der reichsten 30 Prozent am Vermögen ist in zehn Jahren von 81 Prozent auf 91 Prozent gestiegen (2). Die Einnahmen aus den vermögensbezogenen Steuern betragen in Deutschland gerade einmal 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (3). Das ist weniger als die Hälfte des Durchschnitts der OECD-Länder. Darüber hinaus gehen jährlich Milliar­den verloren, weil die Bundesregierung auf eine angemessene Ausstattung der Steuerfahndung verzichtet. Mit der LINKEN ist eine solche Politik nicht zu machen: Wir fordern Mehreinnahmen durch die Vermögen- und die Erbschaftsteuer und höhere Spit­zensteuersätze bei der Einkommensteuer, um die öffentlichen Haushalte wieder ins Lot zu bringen.

Bekanntermaßen ist das jetzige hohe Haushaltsdefizit auch eine Folge der direkten und indirekten Auswirkungen der Finanzmarktkrise. Der IWF schätzt die direkten Kosten der Krise in Deutschland auf über 100 Mrd. ¤ (4), die gesamten Kosten dürften weitaus höher liegen. Von 2008 bis 2010 wird die Staatsverschuldung (Bund, Länder, Kommunen, So­zialversicherungen) um fast 300 Mrd. ¤ steigen (5). Umso erstaunlicher, dass die Finanz­branche lediglich mit 6 Mrd. ¤ an den Kosten der Krise beteiligt werden soll. Und diese 6 Mrd. ¤ aus einer Finanzmarktsteuer sind noch nicht einmal sicher, wogegen die Kür­zungen sehr konkret sind. Der Beitrag der sonst nicht für ihre Bescheidenheit bekann­ten Finanzbranche ist geringer als der Beitrag von Hartz IV-Empfängern durch die Kürzung der Zuschüsse für die Rentenversicherung und des Elterngelds. Statt die Krisenkosten den Verursachern aufzuerlegen, verstärkt die Bundesregierung so Alters- und Kinderarmut. Desaströs ist auch, die mit 0,35 Prozent des Bruttonationaleinkom­mens ohnehin niedrige Entwicklungshilfe wegen der Schuldenbremse mittelfristig kürzen zu wollen (6).

Während der frühere britische Premier Gordon Brown sich im Dezember 2009 für eine Finanztransaktionsteuer ausgesprochen hat, hat Frau Merkel zu diesem Zeitpunkt noch gebremst. Und nun ist der Jammer groß, weil die Briten nicht mehr mitmachen wollen. Dabei erzielen die Engländer jährlich 4 Mrd. ¤ aus einer Börsenumsatzsteuer (7). Wieso gibt es eine solche Steuer nicht längst in Deutschland? Wo bleiben konkrete Taten bei der Einführung der Finanztransaktionssteuer?

Die Bundesregierung änderte innerhalb von zwei Tagen im Mai abrupt ihre Position zur Finanztransaktionsteuer. Der einstige Bremser inszeniert sich nun als Vorantreiber. Die plötzliche Kehrtwende zeigt, dass die Bundesregierung nicht aus innerer Einsicht, son­dern auf massiven öffentlichen Druck reagierte. Daher ist es wichtig, ihr auch in Zukunft auf die Finger zu schauen (und notfalls zu hauen). Anders wird es keine signifikante Beteiligung des Finanzsektors an den Krisenkosten geben. Die LINKE wird sich hierfür parlamentarisch und als Mitgliedsorganisation der Kampagne „Steuer gegen Armut“ auch außerparlamentarisch stark machen.

Die Bundesregierung hat mehrfach beteuert, die Verursacher der Krise an den Kosten zu beteiligen. Wenn dies so wäre, sollte sie während der Haushaltsdebatte einen Hut durch die Reihen des Parlaments kreisen lassen. Mit Ausnahme der LINKEN haben sich alle Parteien als Krisenarchitekten hervorgetan: Die rot-grüne Bundesregierung hat der Krise den Weg bereitet, die große Koalition und die schwarz-gelbe Koalition hat sie auf die Bürger abgewälzt. Es ist Zeit für eine andere Politik.

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(1)Sondermemorandum der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, August 2010

(2) Die ZEIT (37), 9. 9. 2010

(3) Die LINKE – Auswege aus der Krise. Das linke Gegenkonzept zum Sparpaket der Bundesre­gierung.

(4) Bundestagsdrucksache 17/2294, Antwort auf die KA der SPD vom 24.6.

(5) Sondermemorandum der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, August 2010

(6) Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014

(7) HM Treasury, Budget 2010