Zur Lage der Kommunen: "Bürger müssen mitbestimmen können."

Interview der Woche mit Ulla Lötzer und Axel Troost

23.03.2010 / Linksfraktion

Ulla Lötzer, Sprecherin für internationale Wirtschaftspolitik und Globalisierung, und Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion, werben dafür, dass Güter und Leistungen zurück in öffentliche Hand übertragen und die Kommunen dazu langfristig stabil mit den nötigen Finanzen ausgestattet werden.

DIE LINKE diskutiert am 27. und 28. März auf ihrer Konferenz »Ohne Moos nix los« über die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung. Dazu lädt die Fraktion nach Essen. Viele Kommunen befinden sich am Rande des Bankrotts. Vor welchen Problemen steht Ihre Heimat- und Wahlkreisstadt?



Ulla Lötzer: Um bei einem Defizit von 410 Millionen Euro und Kreditkosten von 125 Millionen Euro so eben der Pleite zu entgehen, will die Stadt allein in diesem Jahr 109 Millionen Euro kürzen. So wird der Schuldenberg nicht kleiner, aber unter der Fuchtel des Regierungspräsidenten massiv Zukunft zerstört: Bereits heute leben 31,7 % der Essener Kinder von Hartz IV. Den Förderunterricht für 800 Migrantenkinder an der Universität kann sich die Kulturhauptstadt nicht mehr leisten - 180.000 Euro städtischer Zuschuss dafür werden gestrichen. Doch auch der Personalrat der Theater wehrt sich gegen Sparvorgaben, die in der Kulturhauptstadt 2010 zum Kulturabbruch 2011 führen.

Das Verfassungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen verkündet am 23. März sein Urteil über die Klage von Kommunen, die gegen die Kommunalisierung der Umwelt- und Versorgungsverwaltung geklagt haben, weil sie die Kostenerstattung durch das Land für zu niedrig halten. Ist es nicht sinnvoll, Leistungen, die von Kommunen nicht mehr getragen werden können, zu privatisieren?

Ulla Lötzer: Nein, Private wollen nur die höchstmögliche Rendite erzielen. Sie stellen unrentable Versorgung ein, erhöhen Preise und Gebühren und schließen viele Menschen einfach aus. Es kommt vor, dass Beschäftigte von privaten Müllentsorgern zusätzlich Wohngeld und Hartz IV bei der Kommune beantragen müssen, weil sie zu wenig verdienen. Die Finanznot der Kommunen ist doch von Bund und Ländern zu verantworten, die Aufgaben auf die Kommunen verlagern ohne sie finanziell ausreichend auszustatten. Es werden Gesetze beschlossen, die Kommunen finanziell austrocknen. Hier muss man ansetzen.


Für alle Güter und Dienstleistungen, die wieder in kommunale Verantwortung fallen sollen – DIE LINKE spricht von ‚Rekommunalisierung’ –, benötigen die Rathäuser langfristig eine stabile finanzielle Ausstattung. Das wird sicher nicht durch einige wenige Umschichtungen von Steuergeldern möglich sein, sondern wohl eher eine komplette Neugestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen erfordern. Was schlagen Sie vor?

Axel Troost: Es ist klar, dass die Kommunen zur Rückübertragung von Gütern und Leistungen in die öffentliche Hand zunächst Finanzmittel benötigen. Beispielsweise hat die Stadt Dresden kürzlich 836 Millionen Euro auf den Tisch legen müssen, um ihren Anteil am kommunalen Energieversorger Drewag auf 90 Prozent zu erhöhen. Dementsprechend führt an einer steuerlichen Umverteilung kein Weg vorbei, zum einen in Hinblick auf die Schaffung eines sozial gerechten Steuersystems. Wichtige Pfeiler sind die Finanztransaktionsteuer, die Millionärssteuer, die Vermögensteuer sowie die Erbschaftsteuer. Zum anderen muss der Anteil der Kommunen am Gesamtsteueraufkommen deutlich angehoben werden.

Wie wollen Sie Bund und Länder davon überzeugen, auf Steuereinnahmen zugunsten der Kommunen in Milliardenhöhe zu verzichten?

Axel Troost: Die Frage ist eher, warum die Kommunen nicht adäquat an den Steuereinnahmen beteiligt werden. Es sind die Kommunen, die eine Vielzahl von Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger tätigen. Darunter finden sich Aufgaben, die ihnen von Bund und Ländern übertragen worden sind. Man denke nur an die 750 000 Kita-Plätze, die bis 2013 geschaffen werden sollen. Die Kommunen stärker am Gesamtsteueraufkommen zu beteiligen, ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

Warum wollen Sie privatisierte Leistungen in die Kommune zurückholen?

Ulla Lötzer: Die Gründe liegen auf der Hand. Die Erfahrungen zeigen, dass die Kommunen Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge preiswerter, besser und sozial gerechter anbieten können. Investitionen kommunaler Unternehmen fließen zu 80% in die regionale Wirtschaft. Jeder Arbeitsplatz in einem kommunalen Unternehmen zieht 1,7 weitere Arbeitsplätze in der Region nach sich. Wir stehen übrigens mit der Forderung nach Rekommunalisierung nicht allein. Laut einer Umfrage will jede zehnte Kommune, die ihre Leistungen privatisiert hat, diese wieder in die Kommune zurückholen.

Am 9. Mai wird in NRW ein neuer Landtag gewählt. Vor dem Hintergrund der sinkenden Umfragewerte für CDU und FDP will die schwarz-gelbe Bundesregierung ihr bisheriges Schweigen über etwaige finanzielle Be- oder Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger aufgeben und nun doch schon im April ein Steuerkonzept vorlegen. Was erwarten Sie?

Axel Troost: Von dieser Bundesregierung erwarte ich gar nichts. Wer weiß nach der Mövenpick-Mehrwertsteuersenkung schon, welche Klientel – auch mit Blick auf den Wahlkampf in NRW – nun als nächstes dran ist. Was bis jetzt auf dem Tisch liegt, geht in die völlig falsche Richtung.

Welcher Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Kommunalfinanzen würde sich durch eine Abwahl von Schwarz-Gelb in NRW und dem daraus resultierenden Verlust der Mehrheit von Union und FDP im Bundesrat auftun?

Axel Troost: Derart veränderte Mehrheiten im Bundesrat können mehr Spielraum für alternative Konzepte eröffnen. Konkret könnte sich der Druck auf die Rücknahme abenteuerlicher Ideen, wie die geplante Aushöhlung der Gewerbesteuer, erhöhen. DIE LINKE fordert die Einführung einer Gemeindewirtschaftssteuer, die auf der Weiterentwicklung der Gewerbesteuer als wichtigste Finanzquelle der Kommunen beruht. Für dieses Vorhaben wäre diese veränderte Ausgangslage im Bundesrat im Vergleich zur jetzigen Situation eine Verbesserung.

Not macht erfinderisch. Sie sind Sprecherin für internationale Wirtschaftspolitik und Globalisierung. Von der Krise sind Kommunen in anderen Ländern der Welt sicher weitaus stärker als in Deutschland betroffen. Können sie Beispiele dafür nennen, wie anderenorts Kommunen wieder fit gemacht wurden und werden, die auch für bundesdeutsche Gemeinden umsetzbar wären?



Ulla Lötzer: Wichtig ist, die Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen in der Kommune zu beteiligen, zum Beispiel im Rahmen von Bürgerhaushalten. Damit meine ich nicht das Akzeptanzprogramm für Sparmaßnahmen à la Bertelsmann sondern das Modell wie es in Porto Alegre entwickelt wurde. Dort gibt es eine breite Beteiligung und hohe Öffentlichkeit im Rahmen von Bürgerversammlungen, thematische Foren und öffentliche Delegiertenversammlungen. Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden selbst über die sozial gerechte Verteilung von Investitionsmitteln und damit auch über die finanzielle Absicherung des Öffentlichen.

Vielleicht muss man auch gar nicht so weit in die Ferne blicken. Gibt es auch bei uns gelungene Beispiele für Bürgerbeteiligung am kommunalen Haushalt?

Axel Troost: Bundesweit sind es über 100 Kommunen, die den Versuch unternehmen, Bürgerinnen und Bürger an Haushaltspolitik zu beteiligen. Dabei gibt es zahlreiche Ansätze, die sich allerdings in der Reichweite der Partizipation sehr unterscheiden. Exemplarisch für das Modell Porto Alegre steht hierzulande Berlin-Lichtenberg. Seit 2004 wurden bereits sechs Bürgerhaushalte durchlaufen. Etwa 500 Menschen nehmen hieran regelmäßig teil und bringen ihre Vorschläge via Internet, Bürgerversammlung oder Postweg ein. Alle Lichtenbergerinnen und Lichtenberger sind schließlich aufgerufen zu entscheiden.

linksfraktion.de, 23. März 2010