„Die Menschheit steht am Scheideweg“

Interview mit Eva Bulling-Schröter

02.12.2009 / Im Wortlaut, Linksfraktion

Eva Bulling-Schröter fährt nach Kopenhagen zur UN-Klimakonferenz. Für sie steht die Menschheit am Scheideweg. Sie befürchtet, dass die wichtige Konferenz nicht den entscheidenden Richtungswechsel bringen wird. Der weltweit größte Emittent von CO2, die USA, hat nur einen schwachen Vorschlag zur Emissionsminderung vorgelegt. Die Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes ist eine Chance für neue Technologien und Beschäftigung. Und eine große soziale Herausforderung.

In der nächsten Woche fahren Sie nach Kopenhagen zur UN-Klimakonferenz. Sie soll den Nachfolgevertrag zum Kyoto-Protokoll beschließen, das im Jahr 2012 ausläuft. Einige Nobelpreisträger meinen angesichts der Klimakatastrophe, dies sei „die wichtigste Konferenz der Menschheitsgeschichte“ Ist sie das?

Eva Bulling-Schröter: Ich bin vorsichtig mit Superlativen. Aber die Menschheit steht tatsächlich am Scheideweg: Blasen wir global weiterhin so viel Klimakiller in die Atmosphäre, wie in den letzten zehn Jahren, so wird sich die Erde im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um sechs Grad und mehr erwärmen. Aber schon bei einem Plus von mehr als zwei Grad ist mit katastrophalen Folgen zu rechnen.

Wird Kopenhagen eine Wende bringen?

Das ist nicht sicher. Der weltweit größte Emittent, die USA, hat nur einen schwachen Vorschlag zur Emissionsminderung vorgelegt. Und von der Europäischen Union (EU) fehlt bislang ein konkreter Vorschlag, wie viel Geld sie zur Verfügung stellen will, um Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern zu finanzieren. Ihr Angebot von maximal 30 Prozent Treibhausgas-Minderung bis zum Jahr 2020 bleibt hinter den Notwendigkeiten zurück. Kein Wunder, dass sich der globale Süden mit Zusagen zum Klimaschutz zurückhält. Es besteht die Gefahr, dass ein rechtlich verbindlicher Vertrag nicht zu Stande kommt.

Ist dann Kopenhagen gescheitert?

Wenn nur eine weiter Absichtserklärung verabschiedet wird, dann ja. Das darf auf keinen Fall passieren. Hier müssen die Klimaschützer dieser Welt Druck machen. Zumindest muss es in Dänemark einen verbindlichen Beschluss geben, der bereits alle zentralen Inhalte eines künftigen Vertrages enthält: Einigungen über die Minderungspflichten, über die finanziellen Zusagen und über die rechtliche Form eines völkerrechtlich verbindlichen Vertrages. Dieser wäre dann bis zum Sommer in den Details auszuarbeiten.

Warum soll der Süden sparen? Die Industrieländer stoßen doch viel mehr Treibhausgase aus.

Pro Kopf und auch historisch liegt die Hauptverantwortung für den Klimawandel ganz klar im Norden. So entlässt beispielsweise der US-amerikanische Bundesstaat Texas mehr Treibhausgase in die Luft als ganz Afrika. Schaut man sich aber die absoluten Emissionen weltweit an - und die sind physikalisch relevant für das Klima - so stammt bereits mehr als die Hälfte aus Schwellenländern, wie China, Indien oder Brasilien, beziehungsweise aus Entwicklungsländern. Zudem wächst im Süden der Ausstoß von Klimagasen rasant.

Was könnten diese Länder leisten?

Die Schwellenländer sollten ihre Emissionen in absehbarer Zeit begrenzen. Ihnen und den Entwicklungsländern müssen wir mit Finanztransfers helfen, eine nachhaltige Energieversorgung aufzubauen. Diese sollte auf Sonne, Wind, Wasser und Biomasse beruhen, und nicht auf Kohle, Öl oder Atomkraft. Zudem müssen Anreize geschaffen werden, die zum Stopp der Tropenwaldabholzung führen.

Um wie viel Geld geht es dabei?

Wir reden hier von gewaltigen Summen: Mindestens 110 Milliarden Euro müssen die Industrieländer ab dem Jahr 2020 jährlich dafür und für Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels, die nicht mehr zu verhindern sind, bereitstellen.

Was sollte der Norden noch tun?

Hier muss ganz klar der Hauptteil der Emissionsminderung geleistet werden. Bis zum Jahr 2050 müssen die Industriestaaten aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen vollständig aussteigen. Erneuerbare Energien müssen dann komplett einen - deutlich reduzierten - Energieverbrauch decken. DIE LINKE fordert von den EU-Staaten bis zum Jahr 2020 eine Minderung des Treibhausgas-Ausstoßes von 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Deutschland muss seinen Treibhausgas-Ausstoß im selben Zeitraum sogar halbieren.

Eine gewaltige Herausforderung...

... und eine Chance für neue Technologien und Beschäftigung. Es ist eine industrielle Revolution. Und eine große soziale Herausforderung. Denn in diesem Prozess wird es Gewinner- und Verliererbranchen geben. Dahinter stehen jeweils Zehntausende von Beschäftigten. In diesem Zusammenhang ist es eine Illusion zu glauben, Arbeitsplätze entstehen immer am gleichen Ort und annähernd zeitgleich, wo andere wegfallen. Es geht also um eine soziale Abfederung des ökologischen Umbaus, um Qualifizierung und anderes mehr. Ein klassisches Feld für DIE LINKE.

Dies sind gewaltige Umbrüche. Sind tatsächlich solch große Einsparungen an Treibhausgasen notwendig?

Ja, wenn man den Klimawandel mit einiger Sicherheit auf besagte zwei Grad begrenzen will. Schließlich kann man in politischen Prozessen immer Kompromisse finden, nicht aber mit der Physik. Um das noch einmal für Deutschland zu illustrieren: Würde man die Menge an Kohledioxid, welches noch halbwegs klimaverträglich emittiert werden darf, gerecht auf die Menschen dieser Welt verteilen, so dürften die Deutschen nur noch zehn Jahre so weiter wirtschaften. Dann wäre unser Budget aufgebraucht. Deshalb müssen wir schnell raus aus der Kohle. Hierzulande dürfen auch keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. Zudem brauchen wir eine neue Mobilität jenseits des herrschenden Autowahns.

Sie sind am Mittwoch Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestages geworden. Was erhoffen Sie sich von dieser neuen Aufgabe?

Nach netto zwölf Jahren als Mitglied des Umweltausschusses ist die Übernahme des Vorsitzes schon etwas Besonderes. Ich kann ein wenig mehr als bislang Einfluss nehmen auf Ablauf und Dynamik der Sitzungen. Zum dem wird man in dieser Funktion als linke Fachpolitikerin öffentlich mehr wahrgenommen. Als Vorsitzende muss ich mich jedoch gleichzeitig weitgehend neutral verhalten, auch wenn mir der Kragen platzen möchte.

Können Sie gleichzeitig Ausschussvorsitzende und Fachpolitikerin sein?

Linke Klimaschutzpolitik werde ich im Ausschuss weiterhin vertreten. Andere Themenfelder bearbeiten meine Fraktionskolleginnen und -kollegen im Ausschuss: Dorothèe Menzner beispielsweise die Energiepolitik, Sabine Stüber den Naturschutz und Ralph Lenkert den technischen Umweltschutz. Ansonsten gibt es ja auch noch ein politisches Leben neben dem Ausschuss. Ich denke dabei vor allem an die Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen und Gewerkschaften sowie mit Umwelt- und Entwicklungsorganisationen.

www.linksfraktion.de, 1. Dezember 2009