Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP hat 124 eng beschriebene Seiten[1]. Der wichtigste Rat im Umgang mit dieser Koalition scheint mir zu sein: Vorsicht. Das ist eine Koalition von perfekten Darstellern und Verkäufern. Sie sagen oft das Gegenteil dessen, was ist. So war es schon im Wahlkampf. Zu manchem schweigen sie perfekt.
Zur Einstimmung der Leser sei auf einen Ausschnitt aus der Pressekonferenz verwiesen, mit der die drei Parteivorsitzenden den Koalitionsvertrag am 24. Oktober vorgestellt haben: Merkel zu Finanzminister Schäuble und den 100.000 D-Mark[2]. Einen offenen und ehrlichen Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern werden wir auch von dieser Regierung nicht zu erwarten haben.
Einige Gedanken und Beobachtungen:
Das besonders gute Abschneiden der FDP bei der Wahl ist auch damit
zu erklären, dass Westerwelle im Wahlkampf nahezu penetrant versucht
hat, der FDP auch ein soziales Image zu verpassen. Er hat damit die
Barriere abgebaut, die ehemalige Wähler der Grünen und der SPD bisher
daran gehindert hatten, zur FDP zu wechseln. Ähnlich ist es bei CDU und
CSU. Sie hätten noch mehr verloren, wenn sie sich nicht das Image von
Auch-Arbeitnehmerparteien gegeben hätten.
Westerwelle nimmt den im Wahlkampf gesponnenen Faden bei der
Präsentation des Koalitionsvertrages auf, wenn er meint, er setze „auf
wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit“.
Die Steuersenkungspläne, um die sich die Koalitionsverhandlungen offenbar über lange Zeit sinnloserweise drehten, sind formuliert. Welche Belastungen auf die Arbeitnehmer durch Erhöhung der Beiträge und auf Arbeitnehmer und Rentner durch die Beschlüsse zur Gesundheitspolitik zukommen und welche aus den Beschlüssen der Koalition folgenden Gebührenerhöhungen alle Menschen belasten werden, wird nicht vorgerechnet. Hier gilt, was schon oft geschrieben und vorhergesagt wurde: nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai nächsten Jahres werden wir uns noch wundern.
Eigentlich müssten im Amt des Bundeswirtschaftsministers und/oder
jenem des Bundesfinanzministers Persönlichkeiten sitzen, die
gesamtwirtschaftliche und weltwirtschaftliche Zusammenhänge
durchschauen und auch fachlich auf dieses Amt vorbereitet sind. Das ist
wichtig, damit die verantwortlichen Personen in diesem schwierigen Feld
die richtigen Entscheidungen vorbereiten können und damit dies
rechtzeitig geschieht. Deutschland hat seit Jahren ein Defizit an
wirtschaftspolitisch und vor allem makroökonomisch gebildeten Personen.
Entsprechend schlecht war und ist diese Politik, wie sich an den
schlechten Beschäftigung- und Wachstumsziffern und an der Entwicklung
der realen Löhne ablesen lässt.
Die Kombination aus Glos beziehungsweise Guttenberg als
Bundeswirtschaftsminister und Steinbrück als Bundesfinanzminister war
aus makroökonomischer Sicht schon eine Zumutung. Es ist nicht zu
erkennen, dass es mit Brüderle und Schäuble besser werden könnte.
Unabhängig von der parteipolitischen Orientierung würde ich mir das
wünschen, weil es für die Menschen und Familien so zentral wichtig ist,
dass sie Arbeit und einen ausreichenden Lohn finden. Deshalb habe ich
in den Texten des Koalitionsvertrags nach Anhaltspunkten gesucht, die
die Hoffnung vermitteln könnten, es habe sich die Einsicht verstärkt,
dass die Bundesregierung eine makroökonomische Verantwortung hat:
Dass die FDP mit der ausgelutschten Forderung nach niedrigeren und einfacheren Steuern im Jahr 2009, also ein halbes Jahrhundert nach Poujade[3] und seinem Poujadismus[4] sowie nach Glistrup[5] Wahlen gewinnen und die weitere Regierungsarbeit in Deutschland wesentlich bestimmen kann, ist schon erstaunlich. Die Folge wird sein, dass es die Renaissance öffentlicher Verantwortung in Deutschland nicht geben wird. Es wird weitergehen mit der Verarmung des Staates, mit Entstaatlichung, mit Privatisierung und dem Angriff auf die sozialen, solidarischen Sicherungssysteme.
Die einschlägigen Texte zeigen, dass die neue Koalition keine Korrektur vornimmt. In Ziffer 1 des gesamten Textes wird zwar festgestellt, dass der Staat in der Weltwirtschaftskrise eine stärkere Rolle gespielt hat und sich an Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstituten beteiligen musste. Aber dann wird schon in diesem einleitenden Text, der den Charakter einer Präambel hat, von einer „Ausstiegs-Strategie“ gesprochen, mit der „wir jetzt beginnen werden“. Die Sorgen dieser Leute möchte man haben. Hier soll offensichtlich die eigene Klientel mit dem Versprechen, dass der Staat sich schnell wieder zurückzieht, ideologisch beruhigt werden. Eine wirkliche Groteske. Der Staat, da sind wir Steuerzahler, wird also nicht nur zur Rettung der Spekulierenden in Anspruch genommen, den Spekulanten wird nach der Rettung auch noch die ideologische Genugtuung zuteil, dass die staatliche Rettungsaktion eigentlich etwas war, was man möglichst schnell wieder vergessen können soll.
In den dann ab Seite 44 folgenden Texten zu den Finanzmärkten ist nicht zu erkennen, dass die neue Bundesregierung die Probleme der Finanzkrise und ihre Ursachen erkannt hat; es ist hingegen deutlich zu erkennen, dass die führenden Personen bei uns mit der Finanzwirtschaft verbunden sind. Im einzelnen:
Es ist anzunehmen, dass viele dieser konkreten, offenen oder versteckten Versprechen direkt von den Interessenten eingespeist worden sind.
Das gilt für die Agenda 2010, für Afghanistan, für die
Privatisierung der Bahn, für die Politik der einseitigen Steuersenkung
für Unternehmen und Besserverdienende, für die Förderung spekulativer
Tätigkeit auf den Finanzmärkten, für die Einführung der Privatvorsorge
usw.. Was soll die SPD zum Beispiel zur staatlichen Verpflichtung zur
Privatvorsorge in der Pflegeversicherung sagen, wenn Müntefering dies
für die Riester-Rente mehrmals gefordert hat.
Nirgendwo kann die SPD richtig zuschlagen. Entsprechend fallen die
Äußerungen zum Beispiel des Fraktionsvorsitzenden Steinmeier aus. Er
sprach von einem “grandiosen Fehlstart”. Union und FDP seien “auf das
Regieren offenkundig schlecht vorbereitet”, sagte er der “Bild am
Sonntag”. “Schwarz-Gelb hat keinen Kurs und keinen Plan für die Zukunft
unseres Landes. Der Koalitionsvertrag schafft in den meisten Feldern
mehr Durcheinander als Klarheit.” (SpiegelOnline[7])
Das sind formale Einwände eines durch frühere Festlegungen gelähmten Oppositionsführers.
DIE LINKE.: Gemeinsam mit den Menschen diese Gesellschaft gestalten.
Parteivorstand DIE LINKE. beschließt Leitantrag zum Bundestagswahlprogramm der Partei
Oskar Lafontaine (DIE LINKE. im Saarland): Belastungen nicht auf sozial Schwächere abwälzen