Rudolf Hickel über die Wahlkampfillusion: schneller Aufschwung

01.09.2009 / Rudolf Hickel

Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist vor allem durch Unsicherheit und gegenüber den Chancen durch größere Risiken gekennzeichnet. Eigentlich müsste sich die Dis­kussion um die angemessene Wirtschaftspolitik auf die Bekämpfung der aktuellen undabsehbaren Arbeitslosigkeit konzentrieren: Fehlanzeige bei den vorherrschenden Öko­nomieräten sowie der Mehrheitsparteien im Bund. Während die Wirtschaft hochgerech­net für das gesamte Jahr im zweiten Vierteljahr gegenüber dem Vorjahresquartal noch unter dem schwersten Absturz mit 7,1% ächzt, werden schon wieder Aufschwung-illusionen verbreitet. Anlass bietet die schlichte Mitteilung des Statistische Bundesamts: Gegenüber den ersten vier Monaten in diesem Jahr ist im zweiten Quartal erstmals wieder die Güter- und Dienstleistungsproduktion real um 0,3% gewachsen. Vergleich­bar einem peinlichen Induktionsschluss wird dieses Miniwachstum als ein Signal für einen am Ende gar noch nachhaltigen Konjunkturaufschwung missgedeutet. Die wach­senden Optimismuspunkte beim Ifo-Geschäftsklimaindex sowie beim Index für die ak­tuell diagnostizierte Konsumlaune heizen die erwartete Konjunkturtemperatur an. Dabei wird die Diskrepanz zwischen den Hurrameldungen über die deutsche Wirtschaft und die die real-ökonomischen Risiken verdrängt. Rhetorischer Optimismus soll wachstums­treibendes Vertrauen erzeugen. Jedenfalls sind die abgefragten Erwartungen zur künf­tigen Entwicklung aus der Sicht der Unternehmen und Konsumenten nicht unabhängig von den krampfhaft produzierten Positivmeldungen. Die Psychologie der Vertrauensbil­dung, die bereits Ludwig Erhard ursächlich nicht begriffen hat, ist doch vor allem im ak­tuellen Bundestagswahlkampf stärker geprägt durch die Beschwörungsrhetorik als durch harte ökonomische Fakten. Dazu tragen auch die voreiligen Korrekturen bei den Prognosen zur Wachstumsrate durch die Instituts- und Bankenökonomen bei. Da haben die Prognostiker noch nicht einmal ihr Versagen bei der Vorhersage zur jüngsten Krise begriffen, da wird schon wieder flugs aus einer Zuwachsrate mit 0,3% in der Schätz­zone der Stagnation ein Zeichen des einsetzenden Aufschwungs. Auch voreilige Kor­rekturen der Prognosen zum Arbeitsmarkt gehören dazu. Von den Horrorszenarien bleibt eine Verharmlosung der drohenden Jobverluste übrig.

Ziemlich sicher ist, dass der Absturz der Wirtschaft, der bereits im Frühling 2008 ein­setzte, in diesem Sommer gestoppt werden konnte. Von einem dem V-Muster folgen­den Aufstieg aus der tiefen Rezession kann jedoch keine Rede sein. Wegen der Risiken ist von einer W-Konjunktur nach dem Waschbrettmuster auf deutlich niedrigem Produk­tionsniveau auszugehen. Nouriel Roubini, Starökonom in den USA, sieht durchaus auch die Gefahr eines Rückfalls in eine zweite Weltrezession. Ob es dazu kommen wird, ist ungewiss. Umso wichtiger ist es, die Chancen und Risiken offenzulegen und in den letz­ten Wochen vor der Bundestagswahl über eine erfolgreiche Politik für Arbeit, Umwelt und soziale Gerechtigkeit zu streiten. Denn klar ist, neoliberale Politik durch Lohnver­zicht und Steuerentlastungen für die Unternehmen ist Gift für Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit. Eine gestaltenden Politik muss an folgenden Risiken ansetzen:

Selbst die viel zu wenig gezielten Konjunkturprogramme konnten den weiteren Absturz verhindern. Jetzt gilt es, mittelfristig mit öffentlichen Investitionen die Binnenwirtschaft, vor allem auch die lokale Wirtschaft, zukunftsorientiert zu stär­ken.

Da viele Banken in einer zweiten Welle ihrer Krise die Wirtschaft durch eine un­zureichende Kreditvergabe in die Insolvenz treiben, muss der Staat vor allem die durch ihn unterstützen Banken in die Pflicht nehmen und über die Kreditanstalt für Wiederaufbau an den sog. Hausbanken vorbei die Fremdfinanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen erleichtern.

Ein Rückzug der Europäischen Zentralbank aus einer expansiven Geldpolitik würde die Ablösung vom Tiefpunkt der Konjunktur belasten. Nicht wachsende In­flationsgefahren, sondern einen deflationärer Verfall der Preise wegen massiver Überkapazitäten gilt es zu verhindern.

Da die verbreitete Konsumlaune, die zum Großteil auf die Abwrackprämie – 23% Zuwachs an Kfz-Zulassungen im Halbjahr 2009 – und die niedrigen Preise auf breiter Front keine nachhaltige Substanz hat, muss die private Kaufkraft durch einen Anstieg der effektiven Reallöhne, die Anhebung sozialer Leistungen der Krisenopfer sowie die Stabilisierung der Jobperspektiven zur Vermeidung von Angstsparen gestärkt werden.

Nicht nur im Nachgang zum Absturz der Produktion gilt es, hier und heute die Arbeitslosigkeit grundsätzlich und dauerhaft zu bekämpfen. Nach der Bundes­tagswahl drohen heute schon einzelne Unternehmensbosse mit dem Umschalten von Kurzarbeit auf Entlassungen. Die Regelung für Kurzarbeit muss verlängert, vor allem aber über die Stärkung der Binnenwirtschaft sollten Arbeitsplätze gesi­chert und geschaffen werden.

An dieser Agenda zur Stabilisierung einer ökologisch nachhaltigen Wirtschafts­entwicklung sowie der Vermeidung von Arbeitslosigkeit sollten die Parteiprogramme zur Bundestagswahl gemessen werden. Denn die Gefahr ist groß, dass nach dem Kassensturz eine konservativ-bürgerliche Bundesregierung zum neoliberalen Dog­ma des Sozialabbaus sowie deregulierter Arbeitsmärkte und völlig unzureichend re­gulierter Finanzmärkte zurückkehren wird.