Verstaatlichung oder Vergesellschaftung? - Zu linken Debatten über die Finanz- und Bankenkrise

Von der Zerrüttung des Kreditsystems zur Weltwirtschaftskrise

29.01.2009 / Horst Arenz


Die Finanz- und Wirtschaftskrise spitzt sich immer weiter zu. Trotz staatlicher Ret­tungsaktionen in bislang unvorstellbarer Größenordnung in durchweg allen entwickel­ten kapitalistischen Ländern müssen sowohl EZB-Präsident Trichet und IWF-Chef Strauss-Kahn Mitte Januar konstatieren, dass sich der Abschwung weltweit beschleu­nigt. Auch noch so drastische Interventionen der Notenbanken haben daran nichts ge­ändert. In einer Analyse des tschechischen EU-Ratsvorsitzes von Ende Januar wird fest­gestellt, dass sich die Kreditklemme seit Oktober verschärft hat und nun eine zweite Welle von Banken-Rekapitalisierungen droht. Zugespitztester und zugleich absurdester Ausdruck dieses Prozesses ist die Ausweitung der sog. Kreditversicherungen („credit default swaps“ – CDS), die in den letzten acht Jahren von einer Bio. auf 60 Bio. US-Dollar hochgeschnellt sind und international führende Banken in existentielle Probleme ge­bracht haben - im Falle von Bear Stearns und Lehman Brothers zur Insolvenz und bei der weltgrößten Versicherungsgesellschaft AIG an den Rand des Zusammenbruchs.

Der US-Ökonom Roubini hält den Bankrott des Bankensystems der USA für eine Tatsache. Sie erfordere eine über mehrere Jahre sich hinziehende Phase der Stabilisie­rung und Erholung. In Deutschland räumt das BMF ein, dass trotz mehrerer massiver Rettungsaktionen der eingetretene Entwertungsprozess soweit fortgeschritten ist, dass immer noch bis zu einer Bio. Euro unbesicherter bzw. leistungsgestörter Wertpapiere in den Bankenbüchern schlummern. Offiziell bestätigt wird die Summe von 300 Mrd. Eu­ro.

Begonnen hat die Abwärtsspirale mit der im Sommer 2007 offen ausgebrochenen Finanzkrise. Ihr war vorausgegangen ein Boom der Immobilienpreise in wichtigen ka­pitalistischen Ländern, der im Sommer 2006 seinen Höhepunkt fand. Bereits im Sep­tember 2006 titelte die Süddeutsche Zeitung: „An den Kapitalmärkten wächst die Furcht vor einem abrupten Ende der Spekulationsblase am amerikanischen Immobilienmarkt.“ In zahlreichen anderen kapitalistischen Ländern (vor allem Großbritannien, Irland, Spanien und auch Frankreich) ist ein ähnlicher und zeitgleicher Verlauf der Im­mobilienmärkte zu beobachten.

Die Entwicklung ist begleitet von der enormen Aufblähung privater Geldvermögen mit einer extremen Konzentration auf die begüterten Schichten. Sie ist letztlich Resultat einer grundsätzlichen Veränderung des Charakters des modernen Kapitalismus zum sog. Finanzmarktkapitalismus.

Vor dem Hintergrund wachsender Verwertungsengpässe des Kapitals im Produktionsprozess und steigender, nach Verwertung suchender Vermögen treibt der Konkur­renzdruck der Renditemaximierung das Anlage suchende Kapital in die Sphäre der Fi­nanzanlagen. Die Interessen der Vermögensbesitzer, Aktionäre und Finanzinvestoren wird zur dominierenden Triebkraft der Ökonomie. Die dem Finanzmarktkapitalismus adäquate Ideologie ist der Neoliberalismus. Jeder sollte zum Eigentümer werden und auf der Basis des – auch über Kredit finanzierten - Eigentums über sein Leben autonom bestimmen. Die vermögensgetriebene Ökonomie („wealth driven economy“) sollte zum Organisationsprinzip moderner Gesellschaften werden.

Diese Entwicklungsphase ist jetzt zu einem abrupten Abschluss gekommen – mit zerstörerischen Wirkungen unvorstellbaren Ausmaßes. In einer neueren Studie von Goldman Sachs wird die seit Sommer 2007 bis heute eingetretene globale Entwertung auf zwei Bio. US-Dollar geschätzt. Roubini schätzt die Verluste des US-Bankensystems in der Finanzkrise auf 3.600 Mrd. US-Dollar. Etliche Ökonomie-Experten sehen diesen Prozess erst am Beginn einer Entwicklung, charakterisiert durch weiter fallende Immobilienpreise, Schulden- und Preisdeflation, steigende Arbeitslosigkeit und einer Reihe von Wäh­rungskrisen in Schwellenländern. In ersten Zeitungsartikeln wird der Staatsbankrott Großbritanniens an die Wand gemalt. Die Risikoaufschläge für deutsche Unterneh­mensanleihen schnellen nach oben. Paul Krugman resumiert: „Das Ganze sieht fürch­terlich nach einem Beginn einer zweiten Großen Depression aus.“ Auch der Chef der spanischen Notenbank hält die Gefahr eines Abrutschens der Weltwirtschaft in eine Globale Depression für real.


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