We are all Keynesians now!

Von Arne Heise

08.12.2008 / Universität Hamburg, Fachbereich Sozialökonomie, STANDPUNKTE ZUR STAATSWIISSENSCHAFT, Dezember 2008 (28)

Es ist schon erstaunlich, wie eben jene Journalisten, die vor gar nicht langer Zeit die ‘ruhige Hand’ Gerhard Schröders in der Frage seiner Unnachgiebigkeit gegen nachfragepolitische Forderungen und seine Konsequenz bei der Durchsetzung der angebotspolitischen Agenda 2010 lobten, jetzt ihr keynesianisches Herz entdeckt haben und Angela Merkel und Peer Steinrück ob deren Zögerlichkeit gegenüber der Verabreichung kräftiger nachfragepolitischer Impulse scharf kritisieren.

Man könnte einwenden, die weltweite Konjunkturlage habe sich eben geändert und die globale Rezession benötige deshalb andere Antworten als die Situation damals – und dies mag durchaus stimmen. Insbesondere benötigt die gegenwärtige Krise angebotspolitische Maβnahmen im Sinne einer besseren Regulierung der internationalen Finanzmärkte – darüber sind sich eigentlich alle einig. Ob die gegenwärtige konjunkturelle Lage sich tatsächlich so grundlegend von der Situation Ende des letzten Jahrzehnts, also nach dem Ende des ‘New Economy’ Booms und dem Platzen der Dotcom-Blase, unterscheidet, ist durchaus fraglich

– jedenfalls wird dies nirgendwo ernsthaft untersucht.

Der plötzliche Sinneswandel der deutschen Wirtschaftsjournalisten, die übrigens ganz überwiegend – wenn überhaupt – eher traditionell liberal geschult sind, deutet keine höhere Einsicht an, sondern ausschlieβlich den Grad an Opportunismus, zu dem Jemand offensichtlich fähig sein muss, der einerseits Aufmerksamkeit für seine Zeitung erzeugen will, andererseits immer mit einem Auge die dominante Diskussion in den USA verfolgt. Und dort wird eben – mit Barack Obamas Credo: ‘We can do it’ (oder war dies der Slogan eines Sportschuhherstellers?) – gegenwärtig kräftig ökonomisch­aktionistisch (also ‘keynesianisch’ in naiver Interpretation) argumentiert.

Ich will keineswegs falsch verstanden werden: Konjunkturpolitische Maβnahmen sind jetzt so nötig, wie sie Ende des letzten Jahrzehnts nötig gewesen wären. Allerdings sind sie immer nur ‘Strohfeuer’ – nichts anderes soll Konjunkturpolitik sein: Eine lodernde Flamme, die selbst bald erlischt, dann aber genügend Glut hinterlässt, um den Ofen (die Realwirtschaft) in Gang zu bringen. Damit aber erschöpft sich richtig verstandene keynesianische Wirtschaftspolitik keineswegs: Zusätzlich muss die gegenwärtige Diskussionslage und Handlungsbereitschaft der Akteure – also wahrscheinlich wieder nur ein kleines ‘Fenster der Möglichkeiten’ – genutzt werden, um einerseits Institutionen für eine bessere und dauerhafte Koordinierung der makroökonomischen Akteure – der Zentralbanken, der Finanzminister und der Tarifparteien – auf nationaler und zumindest auch auf EU-Ebene zu schaffen – die endliche Aktivierung des längst bestehenden (Europäischen) Makrodialogs (sollten Sie nie davon gehört haben, machen Sie sich nichts daraus. Bislang hatte niemand ein wirkliches Interesse an einem funktionierenden Makrodialog – er existiert also, musste aber bisher nicht wirklich zur Kenntnis genommen werden). Andererseits müssen die Staatsausgaben nicht nur für ein kurzlebiges Konjunkturprogramm erhöht werden, sondern es müssen endlich die öffentlichen Investitionen dauerhaft etwa verdoppelt werden. Dies würde nicht nur ein kurzes Strohfeuer entfachen, sondern nachhaltig den Wachstumspfad der Bundesrepublik und der EU erhöhen: keynesianische Politik, wie sie John Maynard Keynes wirklich wollte!

So schnell, wie die deutschen Wirtschaftsjournalisten nach der Krise wieder zu ihren alten Lieblingsthemen – Arbeitsmarktderegulierungen, Haushaltskonsolidierung (!), Sozialstaatsabbau – zurückkehren werden, so schnell werden auch die Mainstream-Ökonomen, die gegenwärtig geräuschlos abgetaucht sind, wieder auf der Bühne und in den Talk-Shows erscheinen. Nur wenn in der Zwischenzeit die Weichen in die richtige Richtung gestellt sind, kann ihr Wirken schadlos bleiben.