Biegen und Brechen

FINANZKRISE - Der Staat geht den falschen Weg, um die Depression zu stoppen

19.11.2008 / Von Robert Kurz, Freitag 47/2008


Noch gefallen sich die Regierungen in der Pose des erfolgreichen Krisenmanagements. Die Kernschmelze des globalen Finanzsystems gilt als aufgefangen durch "unorthodoxe" staatliche Garantien. Vermeintlich fehlt nur noch ein "zielgenaues" Programm, um durch nahezu kostenneutrale Maßnahmen einen tiefen Absturz der Konjunktur zu vermeiden.

Offiziell geht man immer noch von einer milden und berechenbaren Rezession aus, definiert durch ein Null- oder Minuswachstum über lediglich zwei, maximal drei Quartale. In Wirklichkeit hat der Staat noch gar nichts aufgefangen, sondern lediglich Versprechungen abgegeben. Die Erwartung, dass auf diese Weise eine "Vertrauensbildung" einsetzen könne, die alle Garantien schon bald überflüssig macht, ist unglaubwürdig. Die Bürgschaften werden nach Fälligkeitsdatum abgerufen. Aber auch die so genannte Realwirtschaft bildet längst einen Bestandteil des Finanzkapitals. Die aktuelle Opel-Krise ist eben kein Einzelfall, der allein durch die Schieflage des Mutterkonzerns General Motors bedingt wäre. Tatsächlich wurden die Bilanzen aller Autokonzerne durch die hauseigenen Banken geschönt. Jetzt wird nicht nur das Leasing-Geschäft der Autobanken prekär, sondern auch deren Beteiligung an der Finanzblasen-Ökonomie.

Das gilt für die Industriekonzerne insgesamt. Schon in den achtziger Jahren wurde Siemens ironisch als "Bank mit angeschlossener Elektroabteilung" bezeichnet. Obwohl der Kreditcrash im Bankensystem noch gar nicht real finanziert ist, erfasst die Finanzkrise nun auch schubweise die Industriekonzerne. Allein um die Bilanzen zu sanieren, muss der Staat an die Grenzen seiner Kreditfähigkeit gehen. Damit ist jedoch nichts gewonnen für den Absatz auch nur eines einzigen neuen Autos, Kraftwerks oder Computers. Die Defizitkonjunktur der vergangenen Jahre hat gerade von den inzwischen seriell platzenden Kreditblasen gelebt. Wenn der Internationale Währungsfonds (IWF) deshalb den größten globalen Wachstumseinbruch seit 1945 prognostiziert, läuft das auf eine Depression hinaus, die das milde Rezessions-Paradigma sprengt und ein Denken in Quartalen zur Lächerlichkeit verdammt. Es reicht dann auch nicht mehr, dass der finanzkapitalistische Sanierungs-Keynesianismus Kreditgeld in das schwarze Loch der Zahlungsunfähigkeit von Bank- und Industriekonzernen schüttet.

Das Herbstgutachten der "Wirtschaftsweisen" tut so, als wäre die Sanierung des Finanzsystems bereits vollbracht. Andererseits wird die Regierung in ungewohnt heftiger Weise kritisiert wegen ihres unzureichenden Konjunkturprogramms, das nicht auf der Höhe der Zeit sei. Staatliche Investitionen und Beihilfen für private Investitionen sollen nun ohne Rücksicht auf Defizite mobilisiert werden. Angesichts der verdrängten reale Sachlage wäre das nur durch eine geldpolitisch ausgelöste Inflation möglich. Aber nicht nur deshalb ist die Hoffnung auf eine Rückkehr zum sozialpolitischen Keynesianismus der siebziger Jahre illusionär.

Keineswegs zufällig wollen die "Sachverständigen" gleichzeitig die neoliberale Arbeitsmarktpolitik verschärfen. Der Kündigungsschutz soll weiter abgebaut, der ohnehin klägliche Ansatz zum Mindestlohn liquidiert, das Arbeitslosengeld I verkürzt und die Verlängerung für ältere Beschäftigte zurückgenommen werden. Man setzt auf Kapitalbeihilfen und geht konform mit der Forderung von Unternehmerverbänden, die Klimaziele der EU zu kappen. Statt das Masseneinkommen zu erhöhen, soll die staatliche Finanzierung von Kapitalinvestitionen die Binnenkonjunktur anheizen.

Damit sind die Weichen gestellt für ein staatlich sanktioniertes Überleben des Neoliberalismus auf Biegen und Brechen. Wenn schon eine abenteuerliche Finanzpolitik unausweichlich wird - warum dann nicht auf Kosten der ohnehin angeschwollenen "arbeitenden Armut"? Die politische Klasse ist dabei allerdings mit Legitimationsproblemen konfrontiert, denn der schwer kalkulierbare Wachstumseinbruch trifft sie ausgerechnet im Superwahljahr 2009. Sollte es zu einer Depression kommen, sind keine klassischen Klientel-Zugeständnisse mehr möglich. Deshalb ist absehbar, dass die "Volksparteien" umso mehr in eine imaginäre "Mitte" flüchten, von der man sich erhofft, dass sie eine rigide antisoziale Krisenverwaltung um des eigenen Überlebens willen mit zusammengebissenen Zähnen politisch trägt.

Das Hessen-Debakel zeigt, dass sich die SPD dabei endgültig zerlegt. Ob das "Gewissen" der Abweichler nun bezahlt wurde oder nicht, ist dabei unerheblich. Sie waren bereits der Reflex auf eine Verlagerung der politischen Großwetterlage, in der sich die Systemretter um jeden Preis zu einer parteiübergreifenden rechten Notstandskoalition formieren, die das Paradox eines "neoliberalen Finanzkeynesianismus" bis zum bitteren Ende durchexerziert.