"Auf den Bluff der Banken reingefallen"

Bremer Wirtschaftswissenschaftler Huffschmid zu Krisengefahr und staatlichen Finanzhilfen

07.11.2008 / Weserkurier vom 5.11.08

Nach der Milliardenstütze für notleidende Banken will die Bundesregierung jetzt ein milliardenschweres Konjunkturpaket auflegen. Heute soll das Programm im Kabinett beschlossen werden. Im Gespräch mit unserer Redakteurin Petra Sigge kritisierte der Bremer Konjunkturforscher Prof. Jörg Huffschmid die Pläne.

Frage: Wie groß ist die Gefahr einer Rezession?

Jörg Huffschmid: Die Gefahr ist relativ groß. Ich sehe allerdings nicht, dass es zu der vielfach befürchteten schweren, lang anhaltenden Depression kommen wird. Anders als es den Anschein hat, resultiert die gegenwärtige wirtschaftliche Abschwächung nicht aus der Finanzkrise und auch nicht aus der Kreditklemme. Tatsächlich liegt ihre Ursache in der Einkommensentwicklung der letzten Jahre. Die Schere zwischen den Löhnen und Gehältern und den Gewinnen hat sich immer weiter geöffnet. Das be­deutet: Oben kommt immer mehr Geld an, aber unten bleibt immer weniger übrig, um sich etwas kaufen zu können. Fakt ist: Die Realeinkommen sind in den vergangenen acht Jahren zurückgegangen. Da muss man sich nicht wundern, wenn dann die Leute weniger nachfragen. Und jetzt kommt der Finanzkriseneffekt noch hinzu; angesichts der Unsicherheit, wie es weitergeht, werden größere Anschaffungen hinausgeschoben und es wird zusätzlich gespart. Für die Absatzerwartung der Unternehmen ist das nicht förderlich.

Die Bundesregierung hat zunächst Milliarden für den Bankensektor zur Verfügung ge­stellt. War das richtig so oder Geldverschwendung?

Meines Erachtens ist die Art und Weise, wie das Rettungspaket für die Banken ge­schnürt worden ist, ein Skandal. Man hat sich schlicht und einfach erpressen lassen von den Banken, die gesagt haben, wenn ihr jetzt nicht umfangreiche Garantien gebt, dann bricht das deutsche Bankensystem komplett zusammen. Dabei gibt es nach meinen Erkenntnissen keinen Anhaltspunkt dafür, dass das System gefährdet ist. Gerade das deutsche Finanzsystem ist ganz und gar nicht so verwundbar und so fragil, wie oft dar­gestellt.

Und worauf führen Sie dann die hektischen Hilfsaktionen zurück?

Das Ganze war ein Bluff der Banken und er hat wunderbar funktioniert. Die Bundes­regierung ist voll drauf reingefallen, wie andere Regierungen auch. Doch wenn die Bundesregierung schon so etwas macht, dann hätte man auch sagen müssen: Gut, dann verstaatlichen wir eben die Banken zu 20 oder 25 Prozent und sichern uns damit den vollen Einfluss auf ihre Geschäftspolitik

Heute sollen nun auch noch Konjunkturhilfen für die übrige Wirtschaft auf den Weg ge­bracht werden. Lässt sich die Rezession damit verhindern?

Verhindern sicher nicht, aber sie lässt sich mit einigen Maßnahmen etwas abmildern. Was vernünftig ist, ist das KfW-Programm mit Krediterleichterungen, von denen vor allem der Mittelstand profitiert. Das scheint mir noch der sinnvollste Punkt des Kon­junkturprogramms zu sein. Was auch vernünftig sein kann, ist die umfangreichere steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen. Vieles in dem diskutierten Hilfs­paket ist aber auch einfach wieder nur die alte Leier: Unternehmenssubventionen, Ab­schreibungserleichterungen. Durch Abschreibungserleichterungen aber sind noch nie Kaufkräfte geweckt worden Die sollen ja geweckt werden durch eine Steuerbefreiung für Neuwagenkäufer. Ein Jahr Kfz-Steuerbefreiung ohne irgendwelche Konditionen - das finde ich nun wirklich haarsträubend. Nur weil eine Branche laut "Wir auch!" geschrieen hat. Dabei weiß man bereits seit Ende vergangenen Jahres, dass es Über­kapazitäten in der Automobilindustrie gibt. Und dass die sich jetzt an die Finanzkrise anhängen und die Bundesregierung da voll mitmacht, das ist meines Erachtens der skandalöseste Teil dieses Konjunkturprogramms. Zumal man davon ausgehen kann, dass niemand nur deshalb ein neues Auto kaufen wird, weil befristet die Kfz-Steuer wegfällt. Zugreifen werden lediglich diejenigen, die ohnehin vorhatten, sich einen neuen Wagen anzuschaffen. Das sind reine Mitnahmeeffekte.

Die Regierung setzt darauf, mit ihren Hilfen vielfache Nachfolgeinvestitionen an­schieben zu können. Hat diese Strategie Aussicht auf Erfolg?

Nein, das kann man praktisch ausschließen. Dazu müsste sich auch auf der anderen Seite des Marktes, nämlich da wo die Nachfrage ist, etwas tun. Das ist aber nicht der Fall, deswegen werden solche angebotsseitigen Maßnahmen kaum etwas helfen.

Und was könnte helfen?

Wesentlich wirksamer und beschäftigungspolitisch nachhaltiger wären langfristige direkte Investitionen in die Sanierung von Verkehrssystemen, in den ökologischen Um­bau, die Neuorganisation der Energieversorgung und den Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen, hier besonders im Bereich Bildung. Aber wenn das Ganze etwas bringen soll, müsste der Staat dafür über mehrere Jahre mindestens 50 Milliarden Euro jährlich in die Hand nehmen und direkt Arbeitsplätze schaffen.

Wo soll das Geld dafür herkommen?

Auf kurze und mittlere Frist ist es sicherlich sinnvoll, die Staatsverschuldung deutlich zu erhöhen, wie es die Regierung ja jetzt auch macht. Man könnte hier allerdings auch neue Wege gehen, indem man die großen Unternehmen und Banken zum Beispiel Zwangsanleihen zeichnen lässt, die durchaus verzinst werden können, sagen wir mit drei Prozent. Langfristig wird man jedoch für höhere Steuereinnahmen sorgen müssen. Im Gespräch sind ja zum Beispiel Vermögens- und Erbschaftssteuer. Da kommen schon Summen zusammen. Aber man kann natürlich auch überlegen, den Ein­kommenssteuerhöchstsatz, der in den letzten Jahren von 55 auf 42 Prozent reduziert worden ist, wieder anzuheben auf das Niveau anderer Länder wie Frankreich, Däne­mark oder Schweden.

Die IG Metall will derzeit mit Warnstreiks einen höheren Tarifabschluss erzwingen. Sollte die Lohnrunde nicht besser verschoben werden, bis es wieder neue Aufträge gibt? Bis wann sollte sie denn verschoben werden?

Wenn die Konjunktur wieder greift, darf der Aufschwung nicht gefährdet werden und wenn's gerade einen Abschwung gibt, darf die Industrie nicht weiter belastet werden. Gerade die Automobilindustrie hat in den vergangenen Jahren märchenhafte Gewinne gemacht, und da haben die Arbeitnehmer wenig davon abgekriegt. Es gibt überhaupt keinen Grund, hier zurückzustecken, und gesamtwirtschaftlich ist es sowieso unsinnig, auf Lohnzurückhaltung zu setzen. Natürlich gibt es gegenwärtig eine Automobildelle; die fängt man aber nicht durch Lohnzurückhaltung auf, sondern dadurch, dass man die Kaufkraft und die Nachfrage stützt. Und das geschieht eben auch mit kräftigen Lohn­erhöhungen.