Dokumentarfilm zur Krise: "Getriebene in einem unmenschlichen System"

20.10.2008 / tagesschau.de

Mit "Let's Make Money" kommt Ende des Monats der Film zur Finanzkrise in die Kinos. Dokumentarfilmer Erwin Wagenhofer begleitete Investmentbanker und Fondsmanager über mehrere Jahre - auch durch die Grauzonen der Finanzwelt. Sein ernüchterndes Fazit: Die Krise hatte man bereits vor Jahren vorhergesehen - nur hat es niemanden interessiert, solange die Rendite stimmte.

tagesschau.de: Herr Wagenhofer, Sie haben drei Jahre lang die Spur unseres Geldes im internationalen Finanzsystem verfolgt. Zum Filmstart nun ist die Krise losgebrochen. Gutes Timing?

Erwin Wagenhofer: Es kann niemanden freuen, dass diese Krise jetzt so richtig losbricht. Tatsache ist, dass in den vergangenen drei Jahren all die Leute, mit denen wir gesprochen haben, diese Krise haben kommen sehen. Aber niemand hat etwas dagegen getan. Das ist für mich heute das Überraschendste. Das ist, als ob Sie im Auto sitzen und mit 200 Stundenkilometern durch die Gegend fahren. Je länger Sie das tun, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie einen Unfall provozieren. Gegen die Finanzkrise hat niemand etwas getan - wissend, dass sowieso immer die Allgemeinheit bezahlt. Dahinter steckt ein Konzept.

tagesschau.de: Die Banker und Manager haben also weitergemacht, weil sie wussten, dass die Allgemeinheit für den Schaden aufkommen würde, während sie abkassieren?

Wagenhofer:Ganz genau. Und das ist die wichtigste Botschaft des Films. Die Krise kam nicht wie eine von Gott gegebene Naturkatastrophe über die Menschen, sondern sie ist von Menschen gemacht. Am größten Finanzplatz der Welt in London arbeiten zwei Millionen Menschen, alles gut ausgebildete Leute. London ist eigentlich ein einziger Hedgefonds. Diese Leute produzieren aber überhaupt keinen Wert im wirtschaftlichen Sinn, sondern schaufeln nur Geld hin und her, das dann irgendwo auf der Welt - wenn es mit der Realwirtschaft überhaupt noch etwas zu tun hat - für uns arbeitet. Das war der Ausgangspunkt für meinen Film. Die Banken werben: Lassen sie ihr Geld arbeiten. Aber das kann ja nicht funktionieren, weil Geld selbst nicht arbeiten kann, das müssen andere tun. Und das passiert meistens über Ausbeutung.

tagesschau.de: Wie haben Sie die Menschen erlebt, die da im großen Stil mit unserem Geld hantieren?

Wagenhofer: Im Film sagt einer der ganz großen Investmentbanker in Asien: "The best time to buy is when there is blood on the street." Also: Jetzt klebt das Blut auf der Straße, jetzt können sie kaufen, jetzt können sie richtig Geschäfte machen.

tagesschau.de: Also skrupellose Geier?

Wagenhofer: Die Banker sind Getriebene von einem System, das unmenschlich ist. Und diese Leute sind nicht wirklich glücklich geworden. Unter den Bankern gibt es einen hohen Drogenkonsum, harte Drogen, viele leiden mit 30 Jahren schon unter einem Burn-Out-Syndrom. Wir haben während des Drehs für den Film viel mit Armut zu tun gehabt: Die beste Stimmung ist immer bei den Ärmsten. Da, wo wirklich das Geld sitzt, dort ist die schlechteste Stimmung.

Geld kein Wert an sich

tagesschau.de: Wie ergeht es den Bankern heute in der Krise?

Wagenhofer: Das hängt jetzt davon ab, wie sich die Krise weiterentwickelt. Wenn diese Rettungspakete, wie schon in der Vergangenheit, kommen, dann geht es diesen Menschen weiterhin sehr gut. Denn so wird ihr System weiter bezahlt. Irgendwann wird periodisch die nächste Krise kommen. Oder man beginnt jetzt umzudenken und sagt: Ist es wirklich der einzige Sinn einer Gesellschaft, ununterbrochen Geld zu vermehren? Ist unendliches Wirtschaftswachstum in einer materiell endlichen Welt überhaupt möglich? Es ist ein Drama unserer Gesellschaft, dass die klügsten Köpfe in diese Systeme geschickt werden, um dort das Geld zu vermehren. Und nicht dazu herangezogen werden, die Probleme der Gesellschaft zu bewältigen.

tagesschau.de: Haben sich die Banker und Fondsmanager eigentlich gern über die Schulter blicken lassen?

Wagenhofer: Die haben sich relativ bereitwillig filmen lassen. Ich begleite sie und animiere sie zum Reden. Die sind nicht gut oder böse, sondern sie sind Teil des Systems. Und Sie dürfen ja umgekehrt nicht vergessen, dass wir alle Teil dieses Systems sind. Auch wenn wir keine Aktien besitzen, auch wenn wir es gar nicht wissen. Unsere Pensionen, unsere Versicherungen landen irgendwann in den Händen derer, die damit arbeiten. Und auch wir wollten ja bis vor Kurzem hohe Renditen einfahren und haben uns gefreut, wenn sich das Geld vermehrt hat. Darum heißt der Film ja auch "Let's Make Money" - "Lasst uns Geld machen". Es gibt nicht die anderen, die die Bösen sind. Ich kritisiere auch gar keine Einzelpersonen.

Falsch verteiltes Geld

tagesschau.de: Sondern?

Wagenhofer: Das System hat einen Fehler: Das Geld wird falsch verteilt, nämlich von den Armen zu den Reichen. Die Kapitalmengen haben sich in den vergangenen Jahren so stark erhöht, dass einfach zu viel Geld da war. Und das Geld muss arbeiten, wie uns das die Banken suggerieren. Aber beim Arbeiten richtet es eben auch sehr viel Schaden an.

tagesschau.de: Sie haben besonderen Einblick in die Geschäfte der Banken gewonnen. Wenn Sie heute eine Bank betreten, wie geht es Ihnen dann?

Wagenhofer: Ich habe mein Leben lang nie Geld besessen. Auch jetzt kaum. Ich beklage mich überhaupt nicht, aber ich habe nicht das Problem, dass ich irgendwo Geld habe und damit irgendwas machen muss. Und ich habe gewusst: Am meisten werden wir verarscht von den Banken. Außerdem werden wir verarscht von den Versicherungen. Und wir werden verarscht vom Lebensmittelmarkt. Das ist der Grund, warum ich diese beiden Filme gemacht habe (Anm. d. Red.: Sein vorheriger vielbeachteter Film "We Feed the World" beschäftigt sich mit der Massenproduktion von Lebensmitteln).

tagesschau.de: Was erwarten Sie denn von den Banken?

Wagenhofer: Die Banken haben bis jetzt nicht verstanden, dass sie ein Dienstleistungsgewerbe sind. Sie sind dazu da, uns zu dienen. So wie die Wirtschaft da ist, uns zu dienen. Nicht wir müssen der Wirtschaft dienen.

Am Ende bezahlen immer die kleinen Leute

tagesschau.de: Ihr Film legt nahe: Wer sein Geld zur Bank trägt, macht sich zum Komplizen der Profitgier. Verwahren Sie ihr Geld im Sparstrumpf?

Wagenhofer: Ich habe ein ganz normales Sparbuch. Eine Bank ist ja a priori nichts schlechtes, sondern eine gute Erfindung. Nur hat es eine Fehlentwicklung gegeben: Wir müssten fragen, "Was machen Sie denn mit meinem Geld, wenn ich es Ihnen bringe?" Und die Banken müssten dann Rechenschaft ablegen und sagen: Ich verleihe es an den nächsten Tischler, ich mache dieses und jenes damit." Aber das hat uns bis jetzt nicht interessiert. Hauptsache war, dass sich das Geld vermehrt. Ich will mit meinem Film aussagen: Freunde, am Schluss bezahlt es immer ihr: Der kleine Mann und die kleine Frau auf der Straße.

Das Interview führte Claudia Witte, tagesschau.de


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Erwin Wagenhofer:

Der Österreicher Erwin Wagenhofer (geboren 1961 in Amstetten) ist Autor und Filmemacher. Mit "Let's Make Money" setzt Wagenhofer seine Globalisierungskritik fort, die mit dem Film "We Feed the World" begann. Der Dokumentarfilm über die Massenproduktion von Lebensmitteln wurde zum erfolgreichsten österreichischen Dokumentarfilm aller Zeiten, auch in Deutschland sahen ihn 400.000 Kinobesucher. Für "Let's Make Money" führte Wagenhofers Reise auf der Spur des Geldes unter anderem in das Finanzzentrum London, auf den afrikanischen Kontinent, nach Indien, auf die Kanalinsel Jersey, in die Berge der Schweiz und an die Costa del Sol. Kinostart in Deutschland ist am 30.10.2008