Bankrott der Marktideologie

20.04.2008 / Von Harry Nick , Neues Deutschland vom 4. April 2008

Pures Entsetzen packte manche Jünger der Marktideologie bei den Worten des Chefs der Deutschen Bank, wonach die Selbstheilungskräfte des Marktes im Finanzbereich versagen, hier staatliches Eingreifen nötig sei. Eine Neuheit sind solche Wahrheiten aber auch aus dem Munde von Finanzgewaltigen nicht. Am deutlichsten hat sie der erfolgreichste unter den Finanzspekulanten des vorigen Jahrhunderts, George Soros, ausgesprochen. Man kann in seinem Buch »Die Krise des globalen Kapitalismus« (Berlin 1998) sein Erschrecken über die neue Art globaler Finanzkrisen herauslesen: »Der heutige Marktfundamentalismus ist eine wesentlich größere Bedrohung für die Gesellschaft als jede totalitäre Ideologie… Das kapitalistische Weltsystem ist durch eine Reihe von Finanzkrisen erschüttert und buchstäblich am Auseinanderbrechen.« In seinem drei Jahre später erschienenen Buch »Für eine Reform des globalen Kapitalismus« meint er zwar, vielleicht seien die Marktradikalen doch nicht ganz so gefährlich wie totalitäre Ideologen, an seinem Vorwurf aber hält er fest: Die Marktfundamentalisten begreifen die Veränderungen im Weltfinanzsystem nicht, hängen immer noch dem Irrglauben an, die blind wirkenden Marktkräfte könnten wirtschaftliches Gleichgewicht herbeiführen, während sie in Wahrheit wie Abrissbirnen wüten, welche Währungen und Wirtschaften ganzer Länder zerstören. Es ist dieselbe Aussage, die sich auch im Buch »Die Zukunft des Kapitalismus« (1996) von Lester Thurow, früherer Präsidentenberater in den USA, findet: Wenn alles so weitergehe, sei der Zusammenbruch der Aktienmärkte und des internationalen Währungssystems unvermeidbar; die Frage sei nur, ob dies mit großem Krach oder mit einer Kaskade »mittlerer Kräche« geschehen werde. Nachdem die Spekulationsblasen der New Economy der neunziger Jahre ihre Luft abgelassen hatten, Milliardensummen in mehreren Krächen verbrannt waren, schien wenigstens die Gefahr eines großen Krachs abgewendet. Die aber ist heute wieder akuter denn je. Die allerneueste Hiobsbotschaft: Für viele Kapitalanlagen kann nicht einmal mehr deren Marktwert benannt werden. Die Banken wissen nicht mal mehr, was sie überhaupt besitzen. Verständlich, berechtigt, aber vergeblich ist der Hilfeschrei nach Information, Transparenz. Denn die halten von Spekulation nicht ab. Auch wenn man weiß, wie sehr das Objekt der Spekulation über- oder unterbewertet ist, kann man erfolgreich spekulieren. Man muss nur die Richtung der Veränderung treffen. »Wer zu spät kommt, denn bestraft das Leben« gilt hier gleich doppelt: Für den, der zu spät aussteigt, aber auch für den, der zu spät oder gar nicht einsteigt. Unverzichtbar wird eine neue Architektur des globalen Finanzsystems, welche die faktische Diktatur der Industrieländer, der Global Players in der Weltwirtschaft durch demokratische Strukturen ersetzt. Natürlich gehörte hierzu eine Weltbank, die diesen Namen verdient; auch eine wirkliche Weltwährung, die keine nationale Währung sein dürfte. Der wichtigste Schlüssel für wirtschaftliche Gesundung ist jedoch die Richtungsänderung in der Umverteilung wirtschaftlichen Reichtums. Solange die heutige Verteilungsweise von den armen zu den reichen Ländern, von unten nach oben existiert, wird das Geld sich im Geldsystem stauen, nicht vornehmlich in die Realwirtschaft fließen, sondern in das Geldsystem selber. Solcher Kreislauf kann nur globale wirtschaftliche Labilität erzeugen, die jederzeit, auch durch relativ geringfügige Anlässe ausgelöst, zu schweren globalen Krisen führen kann.