DIE LINKE. zur Kernschmelze des internationalen Finanzsystems

Kernschmelze des internationalen Finanzsystems verhindern – Finanzmärkte regulieren – Finanzmarktkapitalismus überwinden

19.04.2008 / Beschluss des Parteivorstandes DIE LINKE. vom 12. April 2008

Vor 20 Jahren wurden 95 Prozent des Geldes, das um den Erdball kreiste, zur Abwicklung von Handelsgeschäften benötigt und nur 5 Prozent zur Spekulation, heute ist das Verhältnis umgekehrt.

Laut Ex-FED-Chef Greenspan sind die aktuellen Turbulenzen die schwerste Finanzkrise seit dem 2. Weltkrieg. Der IWF schätzt die seit dem letzten Sommer weltweit aufgelaufenen Verluste auf fast eine Billion Dollar. Die Vertrauenskrise, "die Angst vor der Kernschmelze hat die Finanzwelt fast zum Stillstand gebracht", schreibt das Handelsblatt. Anzeichen einer Ausweitung auf Auto- und Studentenkredite, Kreditkarten und Versicherungen häufen sich. Wertberichtigungen in astronomischer Größenordnung beherrschen weiterhin die Schlagzeilen. Währungsspekulationen zur Ausnutzung von Zinsdifferenzen (carry trades) verstärken den Stabilitätsverfall. Die Spekulation auf Rohstoffe und Nahrungsmittel hat die Energie- und Lebensmittelpreise explodieren lassen. Die Akteure auf den Finanzmärkten treiben Millionen Menschen in den Hungertod.

Eine der Ursachen ist der Einbruch auf den Immobilienmärkten in den USA. Auch in Großbritannien, Spanien und Irland droht der Immobilienmarkt abzurutschen. Namhafte Experten erwarten einen weiteren Fall der US-Immobilienpreise um 20Prozent, ein Viertel der Hypothekendarlehen droht bis Ende 2009 zu platzen.

Doch es geht auch um tiefer liegende Ursachen. Rund um den Globus hat sich eine Blase auf den Vermögensmärkten entwickelt, die auf vier Faktoren zurückgeht:

  • die Umverteilung von unten nach oben
  • die Vernachlässigung der Binnennachfrage mit der Folge einer Flucht in die Finanz- und Vermögensanlagen
  • die Privatisierung der Alterssicherung und die Entstehung mächtiger internationaler, miteinander konkurrierender Pensionsfonds
  • die Jagd nach maximalem Gewinn, die zu immer halsbrecherischeren Anlagekonstruktionen mit Kreditfinanzierungsquoten von 90 Prozent und mehr treibt.

Die Konkurrenz um die Rendite treibt die Banken weltweit und auch in Deutschland dazu, die Risiken von Krediten über sog. Verbriefungen auf Wertpapiermärkte auszulagern. Was ursprünglich die durchaus sinnvolle Funktion der Ausweitung der Kreditspielräume und der Risikostreuung hatte, verkommt zur Risikoverschleierung; die Resultate sind heute bei IKB, SachsenLB, BayernLB und WestLB, aber auch bei den führenden deutschen Privatbanken zu besichtigen. Die Probleme verdichten sich zurzeit in der Spekulation mit Papieren auf völlig unregulierte Kreditversicherungen mit jährlichen Steigerungsraten bis zu 100 Prozent. Der Mythos vom Zaubergeld der sog. innovativen Finanzprodukte ist dahin. Das Spiel "Risikoverstecken" wird zur organisierten Verantwortungslosigkeit, nach mir die Sintflut wird zum Strukturmerkmal des Finanzmarktkapitalismus, das internationale Finanzsystem verkommt zum Casino.

Eckpunkte linker Alternativen

Die Risiken einer erneuten Weltwirtschaftskrise für die Stabilität der Demokratie und für das politische Verhalten breiter Teile der Bevölkerung sind nicht abschätzbar. Es gilt in der aktuellen Situation vorrangig darum, alles daran zu setzen, die Fortsetzung des Irrsinns zu stoppen.

  1. Die Rückwirkung des internationalen Finanzmarktkapitalismus auf die Konjunktur ist offensichtlich. Kreditbremsen werden angezogen, Milliardenverluste nach unten durchgereicht. Der Beginn der Rezession in den USA ist inzwischen unbestritten, der IWF erwartet eine Verschärfung der Krise, die Vertrauenskrise wird zunehmen. Auch hierzulande zeichnet sich das Ende des "Aufschwungs" ab. Weltweit wird es darum gehen, die gehorteten riesigen Geldmengen einer sinnvollen Verwendung in der Realwirtschaft zuzuführen. Dabei kann auf die absurden Renditevorstellungen der Kapitalbesitzer keine Rücksicht genommen werden. Die Welt braucht einen New Deal. Auf nationaler Ebene sind deshalb unmittelbar greifende Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage und zur Umverteilung von oben nach unten überfällig (Abbau der Massenarbeitslosigkeit, Zukunfts-Investitionsprogramm, Stärkung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme, Aufbau eines öffentlichen Beschäftigungssektors, Arbeitszeitverkürzung, stärkere Besteuerung von Gewinnen und großen Vermögen und Erbschaften)
  2. Der Finanzmarktkapitalismus hat mit seiner Durchdringung aller Bereiche der Wirtschaft tief greifende Spuren in den Unternehmensstrukturen hinterlassen. Der "shareholder value" diktiert die Unternehmensentscheidungen, in den Vorständen haben die Finanzabteilungen das Sagen. Wer keine 25 Prozent Eigenkapital-Rendite vorweisen kann, fordert Massenentlassungen, Ersatz von Festanstellung durch Leiharbeit und Abbau von Mitbestimmung. Finanzmarktkapitalismus und Zunahme prekärer Beschäftigung sind zwei Seiten einer Medaille. Vorrangig ist deshalb: Abbau des Niedriglohnsektors, Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, Abbau der Leiharbeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Ausbau der Mitbestimmung.
  3. Nach dem Debakel ertönt das Gejammer über die Versager von Finanzindustrie und Aufsichtsbehörden. Nachdem die Deregulierung jahrzehntelang als das Allheilmittel gegen die Sklerose des Systems gepriesen wurde, rufen nun ausgerechnet die Urheber der Krise nach dem Staat. Die Re-Regulierung muss sofort beginnen – allerdings nicht mit dem Ziel, die Spekulanten zu retten, sondern die Realwirtschaft. Mit Blick auf die nationale Finanzaufsicht heißt dies: Stopp der Risikoverschleierung durch strikte Eigenkapital-Unterlegung aller Transaktionen, Verbot der Bewertung von Kreditverbriefungen durch private Ratingagenturen, Unterwerfung des Kredithandels unter die Finanzaufsicht, Zulassung des Kreditverkaufs nur mit Zustimmung der Kreditnehmer und Einführung einer Börsenumsatzsteuer. In der EU brauchen wir eine stärkere Koordinierung der nationalen Finanzaufsichtssysteme und die Einrichtung einer öffentlich-rechtlich verfassten Ratingagentur. Auf internationaler Ebene geht es um Forderungen nach Kapitalverkehrskontrollen, Einführung von Währungszielzonen, Tobinsteuer und sowie um die Gründung eines von den Kreditinstituten finanzierten Stabilitäts- und Sicherungsfonds zur kurzfristigen Verhinderung von Bankenzusammenbrüchen. Eine Abwälzung von Verlusten auf die Steuerzahler/-innen darf es nicht geben.
  4. So sehr die Zügel der Finanzaufsichtsorgane angezogen werden müssen, so sehr ist dabei angesichts ihres Versagens in der Vergangenheit Skepsis angebracht. Auch der Glaube an die Steuerungsfähigkeit der Notenbanken hat nach den mehrfach wirkungslosen Liquiditätsspritzen gelitten. Nicht die "Gier der Banken" (Steinbrück) ist das Hauptproblem, so verwerflich ihr Handeln auch ist. Viel grundlegender ist die Gier der Anleger, d.h. der Renditedruck, der die Pensions-, Hedge- und Private-Equity-Fonds zur Forderung nach immer höheren Margen treibt. Wer die Ursachen dieser Gier nicht angeht, verschiebt die Probleme nur nach hinten. Gefordert sind in erster Linie: Rückbau der Privatisierung der Alterssicherung, Verbot der Investition von Pensionsfonds und Lebensversicherungen in Private-Equity- und Hedge-Fonds, Reduzierung der Finanzierung über Kredithebelung und Ausweitung der Mitbestimmung bei Unternehmensübernahmen durch Finanzinvestoren.
  5. Nicht zu vergessen ist die Gier der Banker und Finanzinvestoren, also die Privatinteressen der handelnden Subjekte. Wir haben nicht nur die systembedingte Gier der Banken, Fonds und Finanzinvestoren, sondern auch die Jagd nach den Sonderboni und Optionen. Heute kassiert im Durchschnitt jeder US-Banker 180.000 Dollar Boni zusätzlich zum Gehalt und damit mehr als doppelt soviel wie in den Hochzeiten der New Economy. Mit dem Finanzmarktkapitalismus ist unauflösbar verbunden eine wachsende Schamlosigkeit der Bereicherung. Die Vergütungssysteme von Konzernen und Finanzinvestoren gehören auf den Prüfstand, sie müssen durch Eingriffe im Aktienrecht und durch Verschärfung des geplanten Risikobegrenzungsgesetzes unter die Lupe genommen werden. Die Gesamtbezüge von Managern dürfen das 20-fache eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der untersten Lohn- und Gehaltsgruppe nicht übersteigen. Für zu verantwortende Schäden ist eine Manager-Haftung einzuführen.