Statt Planierraupe spielen: Ernsthaft diskutieren!

Eine Replik auf die Unterstellung, das Nachdenken über eine Garantierente sei ein Angriff auf die Sozialversicherungen [1]

04.04.2008 / Von Katja Kipping

Klaus Ernst und Michael Schlecht behaupten in ihrem Beitrag in der Zeitschrift Sozialismus, ein Nachdenken über die Einführung einer Garantierente sei ein Angriff auf die Sozialversicherungen.

Ein bisschen erinnert diese Abwehrhaltung an die Debatten, die vor nicht all zu langer Zeit innerhalb der Gewerkschaften zum Thema Mindestlohn geführt wurden. Es ist noch gar nicht lange her, da hieß es in der Sozialdemokratie und bei vielen Gewerkschaftsfunktionären, Mindestlöhne wären das Aus für die Tarifautonomie und würden zu Lohnabstürzen aufs Niveau des Mindestlohns führen. Man meinte, nur durch eine verbesserte Kampfeskraft der Gewerkschaften dem Problem Niedriglöhne Herr werden zu können. Inzwischen kämpfen DGB und DIE LINKE gemeinsam für einen gesetzlichen Mindestlohn. Nicht etwa, weil man gemeinsam zum Angriff auf die Tarifautonomie übergegangen ist, sondern weil man erkannt hat: Es bedarf innerhalb des Lohngefüges einer untersten Haltelinie, unter die keiner fallen kann.

Mit der Rente verhält es sich nicht anders. Es bedarf auch hier eines letzten Sicherheitsnetzes. Nun mag man einwenden, es gäbe bereits heute eine Grundsicherung im Alter. Doch diese liegt auf Hartz-IV-Niveau und setzt eine demütigende Bedürftigkeitsprüfung voraus. Sie ist also nicht wirklich geeignet, um die verdeckte, also die verschämte Armut zu bekämpfen. Das Sicherheitsnetz sollte vielmehr so diskriminierungsfrei wie möglich sein, deswegen werbe ich hier für eine Regelung innerhalb der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Dass eine Garantierente, im Sinne eines Sockels innerhalb einer beitragsbezogenen Rentenversicherung, nicht zum Aus des Sozialversicherungsprinzips führen muss, zeigt das Beispiel Schweden. Dort gibt es neben der einkommensbezogenen Säule die Garantierente. Alle Personen, die keine bzw. eine Einkommensrente unterhalb eines Garantieniveaus haben, erhalten die Garantierente bzw. eine Aufstockung der niedrigen Einkommensrente auf das garantierte Renteniveau. Für eine/n alleinstehende/n Garantierentner/in betrug die Rentenhöhe in 2003 787 ¤. Bei Einkünfte von über monatlich über 356 ¤ wird die Garantierente stufenweise gekürzt.

Man sollte dieses Modell nicht eins zu eins übernehmen – schon wegen der zu kritisierenden Pflicht zur privaten Vorsorge, die in Schweden gilt. Aber man kann sich von dem Modell Garantierente inspirieren lassen, wenn man das Problem Altersarmut in Angriff nehmen möchte.

Ernst und Schlecht meinen, ein Verweis darauf, dass Neoliberale wie Meinhard Miegel und Kurt Biedenkopf einst eine Grundrente forderten, sei Beleg genug dafür, dass wer über eine garantistische Sockelung zur Vermeidung von Altersarmut nachdenkt, das Geschäft der Neoliberalen betreibt. Hier liegt ein logischer Fehlschluss vor. Fakt ist, es liegen Welten zwischen den Rentenkonzepten Neoliberaler und möglichen linken Konzepten einer Garantie- oder Mindestrente. Erstere wollen die Abschaffung der Gesetzlichen Rentenversicherung. Ich hingegen möchte, dass die bestehende GRV zu einer Erwerbstätigenversicherung – besser noch zu einer Bürgerversicherung - ausgebaut wird und zusätzlich eine Garantierente, als letztes Sicherheitsnetz eingeführt wird. So kann das System öffentlicher Solidarität ausgebaut und gestärkt werden.

Nun zu dem logischen Fehlschluss von Ernst und Schlecht: Sie argumentieren gegen die Idee einer Garantierrente, als handle es sich um eine Grundrente, die anstelle der GRV treten soll. Damit bauen sie einen Popanz auf, der nichts mit meinem Vorschlag zu tun hat. Um dieses methodische Problem mal an einem anderen Beispiel darzustellen: Ein Mindestlohn, der einhergehen würde mit der Auflösung der Gewerkschaften hätte, das dürfte allen einleuchten, eine komplett andere Wirkung als ein Mindestlohn, der einhergeht mit Bestrebungen zur Stärkung der Gewerkschaften. Ersteres wäre heftigst zu bekämpfen, Letzteres ist hingegen ein erkämpfenswertes Ziel. Ebenso verhält es sich mit der Garantierente. Eine Garantierente im Rahmen einer gestärkten Erwerbstätigen- oder Bürgerversicherung hat eine komplett andere Wirkung als eine Grundrente, die einher geht mit der Abschaffung der GRV. Letztere ist zu bekämpfen, erste würde hingegen die Situation vieler Rentnerinnen und Rentner deutlich verbessern.

Ich halte eine reformierte gesetzliche Rentenversicherung (GRV) für ausgesprochen wichtig und kämpfe dafür mit viel Energie im Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales und in Talkshows. Die traditionelle GRV gibt allerdings auf ein großes Problem keine Antwort: auf die drohende Altersarmut der vielen Menschen mit brüchigen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen. Wer die Akzeptanz der GRV verbessern will, muss sich diesem Problem stellen, sie reformieren und mit anderen Ansätzen kombinieren. Wer hingegen die Altersarmut von Erwerbslosen oder Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen ignoriert, der gefährdet letztlich die Akzeptanz der GRV.

Die Lösungsansätze von Ernst und Schlecht, werden von ihnen selbst auf die Formel „Gute Arbeit – Gute Rente“ gebracht. Diese Formel hat nur einen Haken: Was ist mit Menschen, die schlechte Arbeit oder gar keine Arbeit haben. Heißt es dann: Schlechte Arbeit – schlechte Rente oder keine Arbeit – keine Rente?

Man kann zudem durchaus unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob es im Kapitalismus möglich ist, Vollbeschäftigung zu schaffen. Es wäre aber zynisch, Altersarmut billigend in Kauf zu nehmen mit dem Verweis darauf, dass wir ja Vollbeschäftigung wollen. Denn unabhängig davon, ob es irgendwann in der Zukunft gelingt, Vollbeschäftigung zu schaffen oder nicht, steht fest, dass gegenwärtig die Erwerbsbiografien von Prekarität, niedrigen Löhnen und Erwerbslosigkeit geprägt sind. Und in dieser Zeit können Menschen in der GRV nur unzureichend Ansprüche für die Rente erwerben. Dies führt bei den kommenden Generationen zu Altersarmut und generell zu einem extremen Akzeptanzverlust der GRV. Um dem zu begegnen, sollte also über eine Sockelung innerhalb der GRV in Form einer garantierten Mindestrente nachgedacht werden.

Auch Johannes Steffen ist sehr schnell im Mutmaßen, dass eine Garantierente das Aus für eine gesetzliche Rentenversicherung bedeuten würde. Durch eine Berechnung der Kosten einer Garantierente von 800 Euro für alle meint er dies zu belegen. Im Ergebnis unterstellt er, eine Garantierrente würde dazu führen, dass die Renten um ein Drittel gekürzt werden müssten. Doch für eine seriöse Rechnung, wäre es besser gewesen, er hätte alle Faktoren, die meinem Vorschlag zu Grunde lagen, einbezogen.

Johannes Steffen lässt erstens in seiner Rechnung die Möglichkeit, den Bundeszuschuss zur GRV zu erhöhen, außen vor. Bei einer entsprechenden Steuerpolitik wäre dies aber durchaus möglich. Zumal ja durch eine Garantierente an anderer Stelle gespart wird, z.B. dadurch, dass die Grundsicherung im Alter entfallen kann. Ein Faktor, der zu einer seriösen Berechnung dazu gehört, bei Steffen aber unter den Tisch fällt.

Zweitens geht Johannes Steffen in seiner Berechnung ausschließlich von der bisherigen Einnahmebasis der GRV aus. Dabei müsste er es besser wissen. Schließlich fordert nicht nur die LINKE eine Erweiterung der Einnahmebasis durch die Umwandlung der bisherigen GRV in eine Erwerbstätigenversicherung. (Einige Akteure innerhalb der LINKEN sprechen sich sogar – was mir persönlich sehr sympathisch ist - für die Einbeziehung aller Einkommensarten aus.) Natürlich sollten dann im Gegenzug, ab einem gewissen Einkommen, z.B. oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze, die Ansprüche, die aus eingezahlten Beiträgen entstehen, relativiert werden. Die Idee, das Äquivalenzprinzip in den oberen Einkommensgruppen zu modifizieren, enthielt schon das Rentenkonzept der PDS.

Um es zusammenzufassen: Man kann natürlich alle politischen Alternativen in ihren Kosten so hochrechnen, dass sie unrealisierbar erscheinen. Die politische Konkurrenz tut das beständig mit allen Konzepten und Vorschlägen der Linkspartei, sei es der Forderung nach einem Mindestlohn, sei es der Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV. Sozialpolitisch engagierte Akteure sollten jedoch nicht durch Rechnungen, die entscheidende Faktoren außen vor lassen, und durch gegenseitige Unterstellungen zu solch anti-aufklärerischen Mitteln greifen. Stattdessen lohnt die konzeptionelle Auseinandersetzung, wie wir Altersarmut verhindern können.

Mein Vorschlag wäre nun, inspiriert von der schwedischen Garantierente sich Gedanken darüber zu machen, wie eine garantierte Mindestrente die Altersarmut in Deutschland vermeiden kann. Das heißt, jedem Menschen ist im Alter die Teilhabe an der Gesellschaft zu sichern – individuell garantiert, ohne eine bürokratische Bedürftigkeitsprüfung und ohne eine Doppelverwaltung (Rententräger und Grundsicherungsamt). Der Rententräger stockt bei nicht vorhandenem oder zu niedrigem Anspruch aus der solidarischen Rentenversicherung, in die jede Bürgerin und jeder Bürger einzahlt, automatisch die Rente auf das garantierte, armutsfeste Mindestniveau (z. B. 800 ¤) auf. Der in der solidarischen Rentenversicherung erworbene Rentenanspruch wird mit einem Freibetrag oder anteilig, z.B. zur Hälfte, auf die Garantierente angerechnet, so dass Personen mit diesem Rentenanspruch immer mehr haben als Personen ohne diesen.

Komplizierte Berechnungen von Mindestentgeltpunkten wegen geringem Einkommen können in der Rente vollständig entfallen. Schließlich würde auch dieses Mindestentgeltpunkte-System nicht vollends Altersarmut vermeiden und insofern wiederum ein gesondertes Grundsicherungssystem erfordern. Diese doppelte Bürokratie kann eingespart werden. Wohngelder ermöglichen wie bisher die Kompensation hoher Wohnkosten. Sinnvoll wäre zudem die staatliche Förderung der Riesterrente einzustellen und die dafür verwendeten Gelder in die Finanzierung der Garantierente fließen zu lassen. Dies wären mögliche Schritte zu einer gesetzlichen Garantierente in Deutschland – als einer sinnvollen Ergänzung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente.

Wie gesagt, es hat einiger Zeit und Überzeugungsarbeit bedurft, bis innerhalb der Gewerkschaften der Mindestlohn nicht als Konkurrenz zu Tarifkämpfen angesehen wurde. Heute erscheint es uns vollkommen selbstverständlich, sowohl für einen gesetzlichen Mindestlohn zu kämpfen, als auch die Gewerkschaften in ihren Tarifauseinandersetzungen und ihrem Kampf um gute Arbeit politisch zu unterstützen. Womöglich wird es noch einiger Zeit und Überzeugungsarbeit bedürfen, aber dann hoffentlich für Linke umso selbstverständlicher sein, sowohl für eine Garantierente als auch für die Stärkung der Sozialversicherungen zu kämpfen.


1 Johannes Steffen: Garantierente – Mit der Planierraupe über die GRV, 07.03.2008 sowie Klaus Ernst und Michael Schlecht: Gefahren für die Rente – Katja Kippings Angriff auf die gesetzliche Sozialversicherung. In: Sozialismus 04/2008

2 Diese Größe orientiert sich an den Armutsrisikogrenzen. Es muss berücksichtigt werden, dass die Armutsrisikogrenzen nicht vom Individualprinzip ausgehen. So beträgt die Armutsrisikogrenze aktuell je nach Berechnung für die Bundesrepublik rund 850 Euro bzw. 1000 Euro für eine/n Alleinstehende/n bzw. den Haushaltsvorstand in einem Familienhaushalt. Für die weiteren erwachsenen Personen in einem Familienhaushalt wird jeweils die Hälfte des Betrags angesetzt, nicht die volle Höhe. Die von mir vorgeschlagene Höhe geht aber von einer individuellen Betrachtung aus und liegt deshalb etwas unterhalb der offiziellen Armutsrisikogrenzen.