Jenseits von Liechtenstein - Steuerungerechtigkeit und deutsche Kleinstaaterei (Troost, Didier, Hersel)

02.04.2008 / Axel Troost, Raoul Didier und Philipp Hersel, aus: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 4/2008 (Text am Ende der Seite als Dokument zum Herunterladen verfügbar)

"Die spektakulären Ermittlungen gegen mehr oder weniger prominente Steuersünder im Fall Liechtenstein haben deutlich gemacht, dass die konsequente Eintreibung von Steuern eine Menge Geld in die öffentlichen Haushalte spülen kann. Noch wichtiger aber ist der Umkehrschluss: Durch mangelhafte Steuereintreibung gehen dem Ge­meinwesen bisher Jahr für Jahr Milliarden verloren.

Und das liegt keineswegs nur an der kriminellen Energie von Steuerhinterziehern. Es ist das System der Steuerverwaltung selbst, dass derartige Ausfälle systematisch her­beiführt. Und es ist der politische Wille der Bundesländer, der dafür sorgt, dass sich dies bislang nicht ändert.

In den vergangenen Jahren war es insbesondere der Bundesrechnungshof, der den Blick auf die Schwachstellen der deutschen Steuerverwaltung gerichtet hat. Seine Berichte gewähren einen Blick in Abgründe, die sich sonst nur waghalsigen Bergsteigern auftun. In nüchternen Worten klingt das so: „Die Regeln der Finanzverfas­sung führen dazu, dass die Länder als Vollzugsebene kein ausreichendes Eigeninter­esse daran haben, die Steuern vollständig und rechtzeitig zu erheben. ... Die Steuerge­setze werden gegenüber den Bürgern und Unternehmen nicht einheitlich angewendet. Damit ist keine Steuergerechtigkeit gewährleistet.“[1]

Jenseits der Frage, ob die existierenden Steuergesetze nun gerecht sind oder nicht, hängt die Höhe der gezahlten Steuern in erheblichem Maße gar nicht von den Steuergesetzen ab. Entscheidend sind z.B. auch die Personalausstattung der Finanz­verwaltung und nicht selten gezielte politischen Interventionen von Landesregierungen. Um die wegen Personalmangel auflaufenden Berge von Steuererklärungen abzuar­beiten, sind, so der Bundesrechnungshof „einzelne Finanzämter dazu übergegangen, ‚Grüne Wochen’ oder ‚Durchwinktage’ vorzugeben. […] Mit der Verpflichtung, die Steu­ern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen, ist dies nicht vereinbar.“ [2]

Einzelne Bundesländer haben zur Ansiedlung von Investoren auch damit geworben, dass sie ihre Finanzverwaltungen angewiesen hätten, bei Unternehmenssteuern ein Auge zuzudrücken [3].

Der systemische Fehler ist im Grundsatz leicht erkannt: Für die Eintreibung der Steuern sind laut Grundgesetz die Bundesländer verantwortlich. Bundesländer mit hohen Steuereinnahmen müssen über den Länderfinanzausgleich an Bundesländer mit niedri­gen Steuereinnahmen abgeben. Das konsequente Eintreiben von Steuern würde die reichen Länder reicher und die armen Länder weniger arm machen, beides wirkt sich beim Länderfinanzausgleich nachteilig für sie aus. Weil man also als Bundesland von höheren Steuereinnahmen nicht unbedingt viel hat, liegt es nahe, am Personal in den Finanzämtern zu sparen. Damit sind übrigens auch gleich die Personalengpässe er­klärt, die es Einkunftsmillionären so leicht machen, ihre Steuern über so viele Jahre in Liechtenstein und sonst wo in so dreistem Maße zu hinterziehen. Nicht umsonst hoffen die Finanzämter im Zuge des Falls Liechtenstein auf eine Serie von Selbstanzeigen, denn die Steuerfahnder wissen sehr genau, dass sie viel zu wenige sind, um alle Steuersünder selbst zu finden. [...]"

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1 Vgl. Bundesrechnungshof: Modernisierung der Verwaltungsbeziehungen von Bund und
Ländern, Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Stuttgart 2007, S. 46.
2 Ebd. S. 53.
3 Ebd. S. 52.