Steuerflucht als Kavaliersdelikt

31.03.2008 / Von Wolfgang Lieb, aus: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 4/2008

Auszug

Weil aufgrund einer vom Bundesnachrichtendienst (BND) aufgekauften Speicherplatte mit gestohlenen Kundendaten einer Liechtensteiner Bank einige hundert sogenannter Leistungsträger in Verdacht gerieten, Steuern in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro hinterzogen zu haben, wurde eine seit Jahren bekannte Tatsache endlich zu einem öffentlichen Thema – nämlich dass Deutschlands „Geld-Eliten“ massenhaft Steuerbetrug begehen. Die für einen Rechtsstaat höchst fragwürdige anprangernde Verhaftung eines mit allen Ehrenzeichen ausgestatteten Vorzeigeunternehmers machte die gängige Praxis vollends zum Skandal.

Steuerbetrug und Steuerflucht auf obskure Konten in Liechtenstein und anderen „Steueroasen“ sind wahrlich kein neues Phänomen. „Dem Fiskus entgehen durch nationale und internationale Betrugsdelikte im Bereich der Umsatzsteuer jährlich zweistellige Mil-liardenbeträge“, heißt es etwa in der Unterrichtung des Bundestags durch den Präsi­denten des Bundesrechnungshofes vom September 2003. Auf 30 Mrd. Euro veran­schlagt der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, das Vo­lumen der jährlichen Steuerhinterziehung.

Und dennoch griffen die Finanzbehörden lange Zeit nicht durch. Dabei wird bereits seit Jahren gefordert, die Steuerfahndung personell zu verstärken. Die bundeseinheitlichen Personalvorgaben für die Steuerverwaltungen, die einen gleichmäßigen, geordneten Steuervollzug gewährleisten sollen, wurden jedoch in kaum einem Bundesland erfüllt. Dabei trieben allein die derzeit eingesetzten 13 500 Betriebsprüfer 2006 zusätzliche Steuern in Höhe von 14 Mrd. Euro ein; jeder Prüfer brachte dem Fiskus also eine Zu­satzeinnahme von einer satten Million Euro.

Steuereintreibung ist zwar eine gemeinschaftliche Angelegenheit von Bund und Län­dern, doch sind die Länder – anders als etwa in Frankreich – allein verantwortlich für den Vollzug. Die meisten Bundesländer lehnen eine zentrale Steuerfahndung vehement ab, weil sie in einer intensiveren Steuerfahndung einen Standortnachteil für Investoren und Unternehmen sehen. Im Wettbewerbsföderalismus wird eine lasche Steuererhe­bung geradezu als ein Standortvorteil betrachtet.

Das Risiko einer Entdeckung hinterzogener Steuern wird deshalb seitens der Täter zu Recht als gering eingeschätzt. In keinem anderen Land in Europa können so große Vermögen – in der Höhe von rund 300 Mrd. Euro – unbehelligt ins Ausland abwandern, meist sogar völlig legal durch Wohnsitzverlagerungen. Kein vergleichbares Land der Welt bietet so viele Möglichkeiten zur Steuerflucht wie Deutschland. „Die gegenwärtigen Regeln sind nur begrenzt geeignet, den deutschen Steuerzugriff beim Wegzug vermö­gender Steuerpflichtiger in Steueroasen sicherzustellen“, schreibt der Bundesfinanzhof in einer am 5. März veröffentlichten Entscheidung dem Bundesfinanzminister ins Stammbuch.


Nach der spektakulären Verhaftung des Post-Chefs Klaus Zumwinkel konnte man den Eindruck gewinnen, niemand hätte dieses Ausmaß an Steuerbetrug geahnt. Kaum je­mand will von den Werbeaktionen der Banken aus Liechtenstein und anderswo zur Steuerflucht gehört haben. Bezeichnend ist die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Ich glaube, es geht mir wie vielen Menschen in Deutschland: Das ist jenseits dessen, was ich mir habe vorstellen können, und was viele sich haben vorstellen können.“

Ein massenhaft begangenes Delikt wird offenbar verdrängt oder gar geleugnet. Für die Beschreibung des allgemeinen Umgangs mit Steuerstraftaten ist deshalb die Art und Weise der bisherigen Skandalbewältigung mindestens so interessant wie der Steuerbe­trug selbst.


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