Bahnprivatisierung: Beck will Vollzug melden

BELEBUNG EINER TOTGEBURT - Bis zum Koalitionsausschuss am 28. April soll in der SPD die Bahnprivatisierung durchgesetzt sein

29.03.2008 / Von Tim Herden, Freitag 13/2008

Totgesagte leben länger. Diese Plattitüde scheint sich einmal mehr bei der Bahnprivatisierung zu bewahrheiten. Vor knapp vier Wochen, mitten im SPD-Streit um die Öffnung zur Linken, haben selbst überzeugte Privatisierungsbefürworter in der Partei, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, aufgegeben. Doch nun sehen sie in Kurt Becks Krise ihre Chance.

Am 31. März trifft sich erstmals die SPD-Arbeitsgruppe "Bahnprivatisierung" im Berliner Willy-Brandt-Haus. Der Parteivorsitzende hat das Thema zur "Chefsache" erklärt, er will mit einem Ja zum Börsengang Durchsetzungsfähigkeit beweisen und dürfte die Privatisierungsgegner unter den Parteilinken an ihre jüngsten Ergebenheitsadressen erinnern. Wer ihm die Treue schwört, soll doch bitteschön auch den Widerstand gegen eine börsennotierte Bahn aufgeben. Deren Anhänger können sich in besagter Arbeitsgruppe auf eine klare Mehrheit stützen, angeführt von Finanzminister Peer Steinbrück. Allein Hermann Scheer kommt in dem Gremium noch als namhafter Gegner in Betracht, seit Brandenburgs Verkehrsminister auf dem Rückzug ist - noch im Herbst hatte Reinhold Dellmann den Widerspruch der Länder gegen das Vorhaben artikuliert.

Beck favorisiert das von Steinbrück entwickelte "Holding-Modell". Danach bleiben Schienennetz und Bahnhöfe im Besitz des Bundes, allerdings verwaltet durch die Netz AG der Bahn. 49 Prozent des Personen- und Güterverkehrs sowie des bahneigenen Logistikunternehmens Schenker sollen über die Börse an private Investoren verkauft werden. Der mögliche Erlös dieser Teilprivatisierung wird auf zwölf Milliarden Euro geschätzt, wovon je fünf in den Bundeshaushalt sowie in die Sanierung von Bahnhöfen und Strecken fließen sollen. Den Rest erhält die Bahn für Neuinvestitionen in Fuhrpark und Ausrüstung. Eine bescheidene Ausbeute, hält man sich das reale Anlagevermögen der Bahn AG von 100 bis 120 Milliarden Euro vor Augen.

Heute auch den Ozean

Beck folgt einer Doppelstrategie, um einerseits den Finanzminister zu bedienen, der mit seinem Privatisierungsanteil kalkuliert, wenn es gilt, unter dem Druck einer möglichen Rezession einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. Andererseits möchte der SPD-Chef die Zweifler in den eigenen Reihen mit Geld für die Sanierung von Gleisanlagen und Bahnhöfen ködern. Freilich bleibt unklar, ob sich Vorbehalte und Skepsis wirklich so leicht beschwichtigen lassen. Auf dem Hamburger SPD-Parteitag im Herbst hatten immerhin 90 Prozent der Delegierten für Volksaktien plädiert, sollte der Privatisierungsfall eintreten. Davon hat sich Steinbrück mit seinem Modell zugunsten kapitalkräftiger Investoren längst verabschiedet, weil er davon ausgehen kann, dass sich auch Beck von jenen Visionen benebeln lässt, mit denen Bahnchef Mehdorn den global engagierten Logistikkonzern feiert, frei nach dem Motto: "Früher überquerten wir den Main. Heute auch den Ozean." Deshalb müsse die Bahn an die Börse - nur so werde sie effektiver, wirtschaftlicher und besser.

Derartige Heilsversprechen sollten Anlass sein, sich der ersten Bahnreform vor 15 Jahren zu erinnern. Deren Bilanz kann niemand entgehen, der sich zur Reise per Zug entschließt, falls es den auf der gewählten Strecke noch gibt. Jenseits der Hochgeschwindigkeitsstrecken finden sich verwaiste Bahnhöfe und tote Gleise zuhauf, von Gras überwuchert, wenn nicht Schienen und Schwellen bereits demontiert sind. Seit 1994 übt sich die Bahn AG im großen Kahlschlag und hat 13.800 Kilometer Schienenstrang oder besser gesagt 15,5 Prozent des Schienennetzes stillgelegt. Zugleich gerieten 65 Prozent aller Gleisanschlüsse von Betrieben in diesen Sog, obwohl es doch ökologisch so unverzichtbar sein soll, den Verkehr statt auf der Straße übers umweltfreundliche Gleis abzuwickeln. Der Verkehrswissenschaftler Karl-Dieter Bodack resümiert: "Die Güterverkehre sind erschwert, da weniger Fahrplantrassen zur Verfügung stehen und Überholungen und Kreuzungen an weniger Stellen möglich sind. Zudem hat die Pünktlichkeit gelitten, da bei Zugverspätungen weniger Ausweichmöglichkeiten existieren."

Die Teilprivatisierung der Bahn AG könnte diesen Trend beschleunigen, vermutet der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Hermann. Zahlreiche Nebenstrecken dürften zur Disposition stehen, wenn bei einer treuhänderischen Verwaltung von Schienennetz und Bahnhöfen durch die Netz AG private Investoren darauf drängen, unrentable Strecken zu kappen. Hermann fordert daher eine unabhängige Agentur, die Verkehr, Trassenvergabe und Wettbewerb steuert.

Stiefkind Schiene

Momentan, so zeigt das Beispiel des Güterverkehrsunternehmens ITL aus Dresden, behindert die Bahn AG bewusst den Wettbewerb auf der Schiene und dies offenkundig mit dem Plazet der Politik. ITL-Züge verkehren zwischen Tschechien und den Nordseehäfen. Für den Wechsel der Lokomotiven benötigt ITL in Bad Schandau ein Ausweichgleis, das die Bahn AG mit Genehmigung des Bundes abbauen will. Arthur Martini vom Netzwerk Privatbahnen klagt, es werde immer schwieriger wegen der Netzauszehrung und den dadurch geminderten Kapazitäten die gewünschten Trassen bei der Netz AG der Bahn zu bekommen.

Ohnehin wird die Schiene im Gesamtkonzern längst wie ein Stiefkind behandelt, das geltenden Prioritäten im Wege steht. Schließlich ist die Bahn heute eines der größten Luftfrachtunternehmen und durch den Zukauf der Stinnes AG auch umsatzstärkster Straßenspediteur Europas. Insofern klingen Hartmut Mehdorns Klagen über fehlendes Geld für neue Triebfahrzeuge und Waggons verlogen, wenn die Bahn zur gleichen Zeit milliardenschwere Unternehmen im Ausland kauft und die Verluste auf über 38 Milliarden Euro hoch schaufelt. Einbußen, für die der Staat bürgt, von dem sich der Bahnchef dank Privatisierung so gern unabhängig machen will.

Zieht das alles nicht, nimmt Mehdorn mit der Drohung weiteren Personalabbaus die eigene Belegschaft für das Projekt Börsengang in Haftung. In einem geheimen Vorstandspapier droht er nach den jüngsten Tariferhöhungen für die Bahnmitarbeiter mit Verlagerungen ins Ausland, mit Outsourcing und dem Verkauf von Gesellschaften, sollte es durch einen Verzicht auf den Börsengang kein frisches Geld geben. In den Gewerkschaften Transnet und GDBA hinterlässt das Wirkung. Transnet-Chef Norbert Hansen nennt die Börsenpräsenz eine "einmalige Chance", auch wenn seine Basis auf Distanz geht und sich vier Gewerkschaftsbezirke mittlerweile gegen eine Privatisierung wenden. Im Beschluss der Bezirkskonferenz Saar-Mosel-Westpfalz heißt es: "Der geplante Börsengang würde die größte Verschleuderung öffentlichen Eigentums in der Geschichte der Bundesrepublik darstellen." Und eine Unterschriftenaktion unter den Bahnbeschäftigten fordert Hansen auf, "die Bahn sowohl vor der Zerschlagung als auch vor der Kapitalprivatisierung zu schützen".

Die Stimmung der Gewerkschaftsbasis reflektiert die der Bevölkerung, denn über 70 Prozent lehnten zwischenzeitlich die Privatisierungspläne ab. Kurt Beck ficht das nicht an - innerhalb von vier Wochen will er in der SPD den Börsengang absegnen lassen, um im Koalitionsausschuss am 28. April gegenüber der Kanzlerin Vollzug zu melden.