Sechs Jahre gegen das Grundgesetz

BETREUUNG VON LANGZEITARBEITSLOSEN - Das vom Bundesverfassungsgericht gekippte Modell der Arbeitsgemeinschaften von Kommunen und Arbeitsagenturen war überfällig

04.01.2008 / Berthold Paetz, Freitag 1/08


Hinterher ist man immer schlauer. Manchmal aber auch schon viel früher. Als die rot-grüne Bundesregierung unter Federführung ihres Superministers Wolfgang Clement (SPD) im Dezember 2003 beschloss, die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammenzulegen, bog sie bei der Frage, wie dies umzusetzen sei, das Grundgesetz zurecht. Hauptsache "Hartz IV" konnte im Januar 2005 starten.

Zwar stimmte der Bundesrat im Vermittlungsausschuss der Reform erst zu, nachdem 69 Kommunen zugestanden wurde, ihre Langzeitarbeitslosen selbst zu betreuen. Doch Clements Standardlösung der Arbeitsgemeinschaften (ARGEn), in denen Arbeitsagenturen und Kommunen unter einem Dach kooperieren, hätte nie das Licht der Welt erblicken dürfen, handelt es sich doch um "Mischverwaltungen", die das Recht der kommunalen Selbstverwaltung verletzen. Experten, die Clements Modell im Widerspruch zum Grundgesetz sahen, gab es zuhauf.

Um dies etwas zu bemänteln, wies Clement den Ländern schnell noch eine Rechtsaufsicht über die neuen Strukturen zu. In der Praxis kamen jene über den Status von Papiertigern nie hinaus. Schließlich klagten elf Landkreise vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe - sie wollten sich nicht länger von den Arbeitsagenturen bevormunden lassen. Mitte Dezember 2007 stellte das Bundesverfassungsgericht endlich die Verfassungswidrigkeit der Konstruktion fest. Nun muss der Gesetzgeber bis 2010 entscheiden, wie die etwa sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger betreut werden sollen.

Den Abschied von den unbeliebten ARGEn mögen Betroffene wie die meisten Kommunen bejubeln. Das Urteil ändert an den Inhalten der Hartz-Reformen zunächst gar nichts. Zudem ist es nicht so, dass Langzeitarbeitslose in den 69 "Optionskommunen" zwingend besser davonkämen und somit Präferenzen angebracht wären.

Ein Freibrief für drei Jahre

Es ist freilich ein Skandal sondergleichen, dass eine von Anfang an erkennbar grundgesetzwidrige Konstruktion zunächst drei Jahre praktiziert werden konnte und anschließend einen Freibrief für noch einmal drei Jahre zugestanden bekommt. Welche verfassungsfeindliche Regelung mit einer Laufzeit von sechs Jahren steht als nächste an? Wie lange werden die Karlsruher Richter diesmal brauchen, um sie eher widerwillig zu beerdigen? Wer untergräbt da mutwillig das Vertrauen in den Rechtsstaat?

Das Bundesverfassungsgericht hat sein Urteil zu einem Zeitpunkt verkündet, da sich die kommunalen Interessen relativ eindeutig sortiert haben. Landkreise im Osten - oft genug in dünn besiedelten und wirtschaftlich schwachen Regionen - haben Blut geleckt. Viele wollen nun selbst ihre Langzeitarbeitslosen betreuen. Besser finanzierte Landkreise im Südwesten dürften hingegen kaum den Drang verspüren, für ihr zahlenmäßig geringeres Klientel selbst tätig zu werden. Große Städte mit vielen Langzeitarbeitslosen wiederum sehen sich mit dieser Aufgabe überfordert - sie sind Anhänger der ARGE-Lösung. Bei alldem zeigt sich ein tendenzieller Ost-West-Konflikt, zumal die beiden kommunalen Spitzenverbände wie der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund in dieser Hinsicht tief gespalten sind.

Wie die SPD die Agentur erhalten will

Vermutlich wird über die Betreuung von ALG II-Empfängern im Wahlkampf 2009 aus parteipolitischem Kalkül entschieden. Maßgebliche Teile der SPD befürworten, dass sich die Arbeitsagenturen ab 2010 aller Langzeitarbeitslosen annehmen sollten. Unausgesprochen steht dahinter der Gedanke, den Erhalt der Bundesagentur für Arbeit zu sichern, die inzwischen immer weniger Kurzzeitarbeitslose betreut und bis auf weiteres nicht ewig mit Erfolgsmeldungen zu angeblich erwirtschafteten "Überschüssen" auf sich hinweisen kann. Bundesarbeitsminister Scholz (SPD) meinte kurz vor Weihnachten, man könne vielleicht die als Misserfolg angesehenen Sonderfälle "getrennter Aufgabenwahrnehmung" zum Modell erheben, bei denen sich Kommunen und Arbeitsagenturen seinerzeit nicht auf eine ARGE einigen konnten, obwohl sie bereits unter einem Dach arbeiteten. Dabei blieben die Arbeitsagenturen für Vermittlung und ALG II zuständig, die Kommunen für Schuldner- und Suchtberatung sowie für Miet- und Heizkosten der Hartz-IV-Empfänger.

Die CDU gab bereits zu verstehen, ihr komme eine Debatte über die Kommunalisierung der Arbeitsvermittlung für Langzeitarbeitslose sehr entgegen. Immerhin habe Karlsruhe die Verfassungsmäßigkeit der "Optionskommunen" bestätigt.